Beim Käser auf der Alp Risch | Magazin Zürich

24. September 2018
Am Ende gilt nur, was wir getan und gelebt haben

Beim Käser auf der Alp Risch

Auf der Alp ist nicht alles besser – einiges aber schon. Eine Beobachtung aus der ersten Reihe.

Der Entschluss, auf die Alp zu gehen, rumorte schon länger in mir. Dass es kurzerhand geklappt hat, ist einer glücklichen Fügung zu verdanken. Und dem Alpofon, einer Hotline von Älplern für Älpler und solche wie mich, die schnuppern möchten und Unterstützung anbieten. Kurz und gut: Bereits wenige Tage nach gegenseitiger Zusage stand ich vor Ort. Ordentlich ausgerüstet, aber auch ziemlich ratlos. Und überfordert. Ein Befinden jedoch, das von kurzer Dauer war. Weder reichte die Zeit, noch gab es Anlass dazu. Zumindest nicht aus Sicht meiner Anleiter. Eine simple Erkenntnis, die während der vollen sieben Tage auf mich einwirkte. Lebensregeln nämlich ticken, genau wie Uhren, hier oben anders.

«Hier oben» heisst: 1483 Meter über Meer auf der Melchtalalp im kleinen Melchtal. In der Rischhütte, genau gesagt. Diese wird von Landwirt Niklaus Amgarten, Glois im Obwaldner Dialekt, bereits in der dritten Generation betrieben. Käser Adrian Hüppi geht ihm im Sommer während drei Monaten zur Hand und wenn Glois auf dem Hof in Lungern zum Rechten schaut und in der Region für seinen Alpkäse weibelt, agiert Adrian auf der Hütte praktisch autonom. Und das mit einer Leistungsbereitschaft, von der sich geschäftsführende Direktoren grosser Unternehmen eine dicke Scheibe abschneiden können. Wenn sie denn wollten. Warum aber wollen, wenn es auch einfacher geht? Womit wir mitten im Thema sind:

Während im Tal, gewiss aber in städtischen Gebieten, gemeckert und gejammert wird, dass sich die Balken biegen, die Bewältigung des Alltags zum Leistungssport geworden ist und technische Errungenschaften helfen sollen, immer schneller und effizienter zu werden, läuft auf der Alp alles wie gewohnt. Mit anderen Worten: es wird knochenhart malocht. Sieben Tage die Woche. Von frühmorgens bis spätabends. Notabene für bescheidenes Geld und mit tonnenschwerer Verantwortung. Was man tut, ist erprobt, macht Sinn und hat Konsequenzen. Der Spielraum für Experimente ist klein. Die Zeit kostbar und Debatten über das Warum deshalb wenig populär. Wer Romantik sucht, ist hier so fehl am Platz wie die Liebe im Puff. Alpleben bedeutet in erster Linie Verzicht und ausgeliefert sein an eine Natur, die zuweilen recht garstig sein kann. Man lebt sehr nah mit Mensch und Tier. Wo das eine zu Spannungen führen kann, bringt das andere eine hohe Pflichtbereitschaft und Verantwortungsgefühl mit sich. Definitiv kein Schlaraffenland für Protagonisten aus Ego-zentrierten Gesellschaftskreisen.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich rede nicht von Stress. Insbesondere nicht davon, was Büromenschen gemeinhin unter Stress verstehen. Wovon ich rede ist der Umstand, dass keiner eine Ahnung davon hat, was Alparbeit physisch und psychisch bedeutet. Es sei denn, er hat es selber erlebt – was aber nur Einzelne tun. Immer weniger Schweizer, so hört man, wollen auf der Alp arbeiten. Darum sind die Älpler auf Hilfssennen aus dem Ausland angewiesen. Die wiederum haben falsche Vorstellungen vom Leben dort oben und so gut wie keine Kenntnisse über die Arbeit. Hatte ich bis vor kurzem auch nicht. Und nach einer Woche zudienen habe ich allenfalls einen Clou davon – mehr nicht. Darum will ich an dieser Stelle auch nicht auf dicke Hose machen. Allerdings durfte ich erfahren, was es heisst, abends am Tisch zu sitzen und zu geniessen, was die Tiere hergeben und Menschen daraus produzieren und sich damit zugleich den Lebensunterhalt verdienen. Ersteres ist ein beeindruckendes Erlebnis und zweites lehrt Bescheidenheit. Hier ein Eindruck davon:

Adrians Wecker schepperte um 03:40 morgens. Ich gönnte mir eine Stunde mehr Schlaf. Um 5 Uhr war ich ebenfalls auf den Socken und bereits auf der obligaten Runde mit meinem Hund. Während Adrian am Melken war, schöpfte ich die Nidel aus den Gebsen ab, daraus stellten wir zweimal die Woche Butter her, und schüttete die über Nacht darin gelagerte Milch ins kupferne Chäschessi über der Feuergrube. Anschliessend fütterte ich die Kälblein, neun an der Zahl, trieb das Vieh auf die Weide, mistete den Stall aus und reinigte das gesamte Milchgeschirr. Derweil wendete Adrian die zwei Käselaibe vom Vortag, drückte sie hübsch in Form, feuerte ein und bereitete sich aufs tägliche Käsen vor. Kurz vor acht trafen wir uns zum Frühstück.

«Bezüglich Geräuschkulisse hätte ich ebenso gut im Stall schlafen können.»

Den Rest des Vormittags verbrachte ich im Spycher. Dort lagerten rund zwei Tonnen Alpkäse. Diese über 200 Laibe zu wenden und zu schmieren war eine tägliche Notwendigkeit und eine meiner Aufgaben. Eine, die mir Spass machte obendrauf. Auch wenn am dritten Tag meine Schultermuskeln rebellierten und mir unmissverständlich, sprich schmerzhaft, vor Augen führten, dass es unterschiedliche Formen von «fit sein» gibt. Derweil tat Adrian das, was ein Käser macht, wenn er käst: Rohmilch erwärmen, Kulturen und Lab beifügen, die geronnene Milch mit der Harfe schneiden, die Körner auf ihre Festigkeit prüfen, den Käse aus dem Chessi ziehen, auf Formen verteilen, die Schotte ablaufen lassen und den Käse mit Gewichten in Form drücken. Tönt, hier auf die Schnelle zusammengefasst, ziemlich einfach, ist jedoch eine anspruchsvolle Arbeit und will gekonnt sein.

Zum Mittagessen trafen wir uns wieder in der Hütte. Am zweiten Tag brachte Glois selbstgemachte Würste mit, die wir über dem offenen Feuer brieten. Dazu gab es geschmolzenen Alpkäse und weichgekochte Kartoffeln. Wohlgemerkt ebenfalls auf dem Feuer zubereitet. Da es draussen Bindfäden regnete und ich bis auf die Knochen nass war, hielt sich meine Vorstellung von Alpromantik dennoch in Grenzen. Am Nachmittag stand Weidarbeit, auch Alppflege genannt, auf dem Plan. Darunter sind praktische Arbeiten wie das Zäunen, das Offenhalten von Weiden und das Regulieren von Problempflanzen zu verstehen. Ebenso das Überwachen, Beobachten und Kontrollieren der Rinder auf der Weide.

Beim Käser auf der Alp Risch | Magazin Zürich

Ja, und dann war schon bald wieder Abend. Was konkret hiess, Vieh von der Weide holen, melken, Kühe mit Heu und Kälber mit Milch versorgen, Milchgeschirr waschen, Milch auf die Gebsen verteilen, den Rest im Brunnen kühl stellen und Abendessen vorbereiten. Spätestens um halb zehn war für mich Nachtruhe angesagt. Vorher jedoch lief ich nochmals zum Brunnen, störte die Milch, damit sich über Nacht keine Nidel bilden konnte und löschte anschliessend das Licht im Stall. Der Schlaf kam schnell, war aber nur oberflächlich und zerhackt. Das liegt in meiner Natur, aber auch daran, dass die Schlafstätte nur durch einen Bretterboden vom Vieh getrennt war. Bezüglich Geräuschkulisse hätte ich ebenso gut im Stall schlafen können. Liegt man dann so wach, hört den Tieren zu und lässt den Tag Revue passieren, stellt sich eine tiefe Zufriedenheit ein. Zuerst vage, dann mit Wucht. Und Tolstois Bemerkung bekommt eine völlig neue Bedeutung: «Nur die einfache Arbeit gibt Glück und Zufriedenheit.»

Text: Urs Blöchliger | Fotografie: Urs Blöchliger

6 Kommentare
  1. Hüppi Adrian
    Hüppi Adrian sagte:

    Sehr guter und ehrlicher Bericht.
    Es freut mich, Dir Urs, während einer Woche auf der Alp eine derat bleibende Erfahrung, ermöglicht zu haben. Gruss Adrian

    Antworten
    • Urs Blöchliger
      Urs Blöchliger sagte:

      Lieber Adrian, grüezi
      Danke für das Kompliment. Ja, es war eine inspirierende Zeit und ich werde, was ich gesehen und erlebt habe, für immer aufbewahren, und wo möglich, beherzigen. Dir wünsche ich eine wunderbare Zeit, viel Erfolg bei deinem Tun und Schaffen und im nächsten Jahr wiederum schöne Momente auf der Alp. Herzlichst, Urs B.

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  2. Burch Meiri
    Burch Meiri sagte:

    Hallo Urs, weiss nicht ob du dich an mich errinerst?! Habe dich auf der Alp gesehen – war beim Adrian zu Besuch. Es freut mich, wie du das Leben auf der Alp erlebt hast. Aber auch, wie der Adrian die Sache angeht und mit welchem Engagement er seine Arbeiten verrichtet. Euch beiden alles Gute und auf ein baldiges Wiedersehen. Burch Meiri

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    • Urs Blöchliger
      Urs Blöchliger sagte:

      Lieber Meiri, guten Tag
      Aber sicher erinnere ich mich. Schön, von dir zu hören und danke herzlich für deine Zeilen. Auch dir eine wunderbare Zeit und lass es dir rundum gut gehen.
      Herzliche Grüsse aus dem Unterland. Urs B.

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  3. Katrin
    Katrin sagte:

    Hi, ich bin Katrin und habe auch diesen Sommer 9 Tage mit Adrian auf der Alp verbracht.
    Ich kann deine Gefühle teilen und sehe auch wie ruhig, konzentriert und hingebungsvoll Adrian arbeitet.
    Auch für mich war es eine besondere Zeit die den Kopf frei gemacht, mich ungewohnt gefordert und zufrieden gemacht hast. Ein toller Ort mit einem tollen Menschen.
    Danke für deinen Bericht, der sehr authentisch und wertschätzend klingt … Eine schöne Erinnerung!
    Liebe Grüsse, Adrian!

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    • Urs Blöchliger
      Urs Blöchliger sagte:

      Liebe Katrin, guten Abend
      Von dir habe ich ebenfalls gehört und weiss, der Spur nach zumindest, wer du bist.
      Es freut mich von dir zu hören und ähnliche Erinnerungen mit dir teilen zu dürfen. Danke auch für das Kompliment und die höflichen Zeilen. Ich grüsse dich herzlich, wünsche eine gute Zeit und viele schöne Erinnerungen an die Alp Risch und Käser Adrian.
      Urs B.

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