Kandahar | Schuhmanufaktur | Magazin Zürich

10. Dezember 2012
Die Schuhmanufaktur, gegründet 1932

Kandahar ist Kult – und das seit 80 Jahren

Kolumnist Mark van Huisseling schreibt über die Schweizer Schuhmanufaktur, trockene Füsse und wie er eine Dame auf der Sesselbahn kennenlernte.

Schuhe aus der Kandahar-Manufaktur bei Thun können alles, was man von sehr guten Stiefeln und Schuhen erwarten darf. Zudem können sie noch etwas, was man, streng gesehen, nicht einmal von den besten Schuhen der Welt erwarten darf:

Es passiert einem Mann nicht oft, dass eine Frau, die er nicht kennt, in freier Wildbahn sozusagen, ihm sagt: «Ich liebe Ihre Schuhe, erzählen Sie mir alles darüber.» Mir beziehungsweise meinen Schuhen von Kandahar – einem Modell Cresta aus der Kollektion Celebrity – ist das aber passiert. Und bevor ich erzähle, wie es sich genau abspielte, noch das: Im Altertum waren Schuhe ein Zeichen von Reichtum und Macht. Wer Schuhe trug, war jemand. Heute ist das zwar bei uns im Grundsatz nicht mehr so (im Besonderen schon, wer Schuhe von Kandahar trägt, ist immer noch jemand), doch die Wahrnehmung von Werten ändert sich weniger schnell als der Wohlstand der Gesellschaft. Darum ist die unterliegende Botschaft, wenn eine Frau einem Mann ein Kompliment für seine Schuhe macht, immer noch, dass sie ihn eigentlich als Mann interessant findet (und falls er zudem reich und mächtig ist, verkleinert das auch heute nur in seltenen Fällen die Anerkennung).

Ich stand vor der Talstation der Sesselbahn auf den Wasserngrat, oberhalb von Gstaad, als eine Frau (in Begleitung, aber immerhin), die ebenfalls wartete, sagte: «Ich liebe Ihre Schuhe, erzählen Sie mir alles darüber.» Sobald wir Platz genommen hatten auf einem Sessel beziehungsweise einer Bank der Bahn, begann ich – Manufaktur gegründet 1932, Familienbetrieb aus Gwatt bei Thun, Schuhe von Hand hergestellt, weltberühmt in der Schweiz sowie in Teilen des Auslands und so weiter. Danach wollte die Frau ihre Geschichte erzählen (sie kam aus Kasachstan, studierte in Genf, befand sich in den Winterferien in Gstaad, der deutsche Begleiter sei bloss ein Freund et cetera). Kurz bevor wir die Bergstation erreichten, sagte sie, sie werde sich ebenfalls Schuhe von Kandahar kaufen respektive kaufen lassen von ihrem Vater. Und wie sie das sagte, war ich nicht sicher, ob sie meinte, sie werde sich ein, zwei Dutzend Paar Schuhe von Kandahar kaufen (respektive kaufen lassen) – oder die Manufaktur. (Das letze Mal, als ich nachschaute, gehörte das Unternehmen auf alle Fälle noch von Allmens.)

Wegen möglicher Erfrierungen
Am Ende der Liftfahrt verabschiedete ich mich und ging schnell davon. Ich wäre kaum überrascht gewesen, wenn die Kasachin mir ein Angebot gemacht hätte, das ich nicht hätte ablehnen können. Doch ich hatte keine Lust, mit mehr Geld zwar, doch ohne Schuhe vom Wasserngrat retour in mein Zimmer im «Palace» zu gehen. Nicht bloss wegen möglicher Erfrierungen an den Füssen, auch weil ich auf meine Kandahar ziemlich lange gewartet hatte und sie richtig gerne mag. Ich hatte das Glück, dass Manuel von Allmen, der Co-Geschäftsführer, ein Paar aus Seehundfell für mich herstellen liess.

Damit das gesagt ist: Er hat mir nicht zu dieser Ausführung, die kaum nachgefragt und/oder angeboten wird, geraten. Sondern darauf hingewiesen, dass es wohl möglich sei, solche zu bekommen, man damit aber möglicherweise Gefühle anderer Leute verletzen könne, was nicht sein müsse. Da hat er Recht im Grunde, wenn es auch ein bisschen komisch ist: Die Felle der Seehunde, die in der Kandahar-Manufaktur verarbeitet werden, kommen von Inuit-Produzenten, die erstens Auflagen des Tierschutzes erfüllen und nachhaltig arbeiten sowie, zweitens, nicht viele Alternativen haben, was ihr Geschäftsmodell angeht. Bloss, soviel Zeit ist meistens nicht, um das alles zu erklären. Und erst recht nicht zu ergänzen, dass meine Schuhe voraussichtlich 10 Jahre oder mehr Lebenserwartung haben, weil sie sozusagen unzerstörbar sind und die Manufaktur sie auffrischt oder flickt, falls doch einmal etwas kaputtgehen sollte.

Kandahar | Schuhmanufaktur | Magazin Zürich

Bevor ich es vergesse: Man sagt, es gäbe keine wasserdichten Schuhe, nur in Stiefeln blieben Füsse trocken. Ich erlaube mir zu schreiben, dass diese Behauptung zu allgemein ist. In einem Cresta- Modell von Kandahar (und vermutlich auch in anderen Modellen, diese habe ich noch nicht geprüft) bleiben Füsse auch trocken (jedenfalls solange man nicht, zum Beispiel auf der Flucht vor Kasachinnen, die einem an das Leder respektive Seehundfell wollen, durch den tiefen Schnee geht und solcher von oberhalb des Knöchels, wo der Schuh aufhört, eindringt). Ebenfalls wichtig: Wem alles, was ich über den Cresta erzählt habe, gefällt, wer es aber trotz ökologisch korrekter Herstellung und der Unterstützung von Inuit mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, wenn Robben ihr Leben lassen müssen, kauft seinen Cresta zum Beispiel in Pferde- oder Rinderfell. Alle Vorteile, die ich beschrieben habe, gelten sinngemäss auch für diese Ausführungen. Ausser dass man, möglicherweise, weniger Frauen kennenlernt.

Text: Mark van Huisseling | Fotografie: Patrick Stumm

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