Pascal Monti | Der Klavierstimmer | Magazin Zürich

13. März 2008
Direkt aus der Tonhalle

Pascal Monti: Der Klavierstimmmer

Dem Mann vom Fach über die Schulter geschaut. Zwei Stunden vor Auftritt der Starpianistin Angela Hewitt gibt es noch einiges zu tun.

Ton für Ton zur perfekten Harmonie. Der Fazioli-Konzertflügel gehört zu den grössten Klavieren seiner Gattung. Und die Kanadierin Angela Hewitt gilt als eine der weltbesten Bach-Interpretinnen der Gegenwart. Wir begleiteten beide vor ihrem Auftritt in der Zürcher Tonhalle.

Da steht er nun mit dem Rücken zur Wand, die eine Seite gerade, die andere wohl geschwungen. Die Beine liegen neben ihm. Sein edler Lack kontrastiert mit dem matten, beigen Muster im Tonhallen-Gang. Auch in dieser ungewohnten Position ist der 278 Zentimeter lange Fazioli-Flügel eine imposante Erscheinung. Dass er hier wartet, statt wie üblich im Vorführraum des Musikhauses Jecklin zu glänzen, liegt an der Vorliebe der kanadischen Starpianistin Angela Hewitt für die italienische Flügelmarke Fazioli. «It has great power and is still a soft piano», wird die Kanadierin später über den F278 sagen, den ihr Jecklin für den Zürcher Auftritt zur Verfügung stellt. Kraftvoll und dennoch weich muss das Instrument sein, auf dem die 50-Jährige zwei Stunden lang Johann Sebastian Bachs Werke spielen wird.

Pascal Monti | Der Klavierstimmer | Magazin Zürich
Pascal Monti | Der Klavierstimmer | Magazin Zürich

Noch aber wartet der Flügel auf seinen Auftritt. Und Pascal Monti wartet mit ihm. Der Konzerttechniker aus dem Hause Jecklin ist dafür verantwortlich, dass das Instrument pünktlich konzertbereit ist. Doch im kleinen Tonhalle-Saal üben noch Kinder. Musik und Lachen tönen durch die geschlossene Tür. Es ist 15.30 Uhr. In vier Stunden beginnt das Konzert. Das Stimmen allein braucht in der Regel knapp zwei Stunden, und dann sollte die Interpretin auch noch Zeit zum Üben haben.

Eine halbe Stunde später verlassen die Kinder lärmend den Saal, kräftige Männer hieven das 590 Kilogramm schwere Instrument auf die Bühne und helfen ihm auf seine eleganten Beine. Weiss blitzen die Tasten, schwarz kontrastieren die andern. «Ebony and ivory live together in perfect harmony», haben einst der Ex-Beatle Paul McCartney und Stevie Wonder gesungen – als Ode an die harmonische Eintracht von Schwarz und Weiss auf der Klaviatur. Ebenholz wird noch heute verwendet, das umstrittene Elfenbein hingegen wurde durch den Mineralwerkstoff Tharan ersetzt.

Rund zwanzig Tonnen Zug
Majestätisch erhebt das Instrument seinen spiegelglatten Deckel über den geschwungenen Kasten. Es scheint, es schwebe über der Bühne. Rund 240 Saiten spiegeln sich auf der schwarz schimmernden Fläche. Eine jede hat eine Spannung von 90 Kilogramm. «Rund zwanzig Tonnen Zug muss der gusseiserne Rahmen im Flügel aushalten können», rechnet Monti lächelnd vor, während er sich im Bauch des Instrumentes zu schaffen macht. Mit rotem Filzband dämpft er Saiten ab, um andere besser zu hören.

Der gelernte Klavierbauer und studierte Klavierlehrer hantiert flink und scheinbar mühelos mit seinem Werkzeug. Die Stimmgabel gibt ihm die Höhe des Stimmtones a’ vor, mit dem Stimmhammer dreht er an den Wirbeln, um welche sich die Saiten schlingen. Monti spielt Intervalle, stellt fest, ob sie stimmen oder nicht, und bessert nach, wo nötig. «Stimmen ist ein Schwebungsvergleich», versucht er zu erklären. Während die einen Intervalle zusammenpassen, entwickeln andere so genannte Schwebungen – hörbare Verschiebungen der Schwingungen. Konzentration und Geduld sind gefragt und ein Gehör, das die feinsten Schwankungen erkennt.

Ton anschlagen, hören, Stimmhammer drehen, Ton anschlagen, hören, nochmals drehen und so weiter. Dutzende Male. Hunderte Male. Jeder Wirbel muss perfekt positioniert werden. Alle Saiten müssen fest sitzen, damit sie nicht während des Konzertes wegrutschen und verstimmen.

Pascal Monti | Der Klavierstimmer | Magazin Zürich

Die Künstlerin taucht auf, haucht entschuldigende Worte und verschwindet im Solistinnenzimmer, um sich schön zu machen. Schliesslich ist auch ein Fotograf da. Monti stimmt weiter. Angela Hewitt wird das «Wohltemperierte Klavier» von Bach spielen, mit je einem Präludium und einer Fuge pro Tonart. «Temperiert heisst, die Stimmung tönt in allen Lagen richtig», erklärt Monti. In der Zeit vor Bach wurde noch absolut gestimmt: Die Tonintervalle waren zwar rein, dafür konnte nur in bestimmten Tonarten gespielt werden. In der heute gängigen temperierten Stimmung indes werden kleine Kompromisse gemacht, sodass das Instrument in allen Tonarten wohl klingt.

Pascal Monti | Der Klavierstimmer | Magazin Zürich

Gut geschminkt erscheint Angela Hewitt in glitzernd blauem, eng anliegendem Kleid und in silbernen Stöckelschuhen, setzt sich nach kurzem Wortwechsel mit dem Klaviertechniker an den Flügel und beginnt zu spielen. Es ist schon bald 18 Uhr. Sie scheint glücklich mit dem Instrument, spielt da einen Teil einer Fuge, dort den Anfang eines Präludiums, merkt sich kleinere Unstimmigkeiten und registriert, welche Tasten noch zu stark oder zu schwach anschlagen. Dort wird Monti anschliessend mit Schleifpapier nachbessern müssen, damit die 88 Hämmerchen allesamt gleichmässig auf die Saiten auftreffen. Und mit der Intoniernadel wird er Einfluss auf die Klangfarbe der Töne nehmen, indem er in den Filz auf dem Hämmerchen sticht und so dessen Spannung verändert. Je nachdem werden Töne härter oder weicher. Auch das könnte Stunden in Anspruch nehmen, abhängig davon, wie gut das Instrument gewartet ist und wie pedantisch der Künstler oder die Künstlerin ist. Da jedoch Jecklin den Fazioli dauernd in konzertreifem Zustand hält, hat Angela Hewitt kaum etwas zu beanstanden. Die Feinkorrekturen lassen sich in einer halben Stunde erledigen. Zum Glück. Es ist schon 18.30 Uhr. In einer halben Stunde wird der Saal geöffnet.

Pascal Monti | Der Klavierstimmer | Magazin Zürich

Wenn immer möglich, spiele sie auf einem Fazioli-Flügel, erklärt Angela Hewitt. Es sei das schönste Piano überhaupt, verfüge über einen klaren und farbigen Ton, selbst wenn sie die Tasten nur ganz fein anschlage. Darüber hinaus arbeite der italienische Klavierbauer nur mit Musikhäusern zusammen, die höchste Servicequalität bieten. Die Frau kann es sich leisten, gehört sie doch zu den begehrtesten Pianistinnen der Gegenwart und gilt als eine der besten Bach-Interpretinnen überhaupt. Ihre Bach World Tour bringt sie innert 14 Monaten in 25 Länder, wo sie 110 Konzerte gibt. Da muss alles organisiert sein. Ihre Ansprüche werden erfüllt. Früher war das noch anders. Da konnte es vorkommen, dass sie ein verstimmtes Klavier vor sich hatte oder dass Saiten während des Konzerts rissen. In Lille, Frankreich, stand die Pianistin gar auf einer leeren Bühne. Notfallmässig wurde ein Klavier organisiert, der Plastikstuhl davor war indes so niedrig, dass die Pianistin mit Telefonbüchern in die richtige Position gebracht werden musste, wie sie lachend erzählt.

Kein Blatt Papier, keine Noten, nur den offenen Flügel
Im Tonhallesaal stimmt alles: der Flügel, der Stuhl, das Beistelltischchen mit drei gefüllten Mineralwassergläsern, das Licht – und das fachkundige Publikum, das an diesem Dienstagabend gekommen ist, um die Bach-Meisterin zu hören. Unter Applaus setzt sie sich an den Flügel. Es wird still. Ein Handy piepst. Doch dann legt sie los: Furios in den schnellen Passagen, sanft in den leisen Tönen, mit Emotionen und Energie bringt sie Bachs Werk zum Leben, lässt ihre Finger über die Klaviatur gleiten und jeden Ton zur Geltung kommen. Sie hat die Augen mal offen, dann wieder geschlossen. Vor sich kein Blatt Papier, keine Noten, nur den offenen Flügel mit seinen 240 Saiten. Er brilliert mit seinem klaren, farbigen Klangbild – sie bringt seine ganze Schönheit zur Geltung. Zusammen heben sie ab. Das Publikum geht mit und geniesst. Nur einer kann sich nicht ganz hingeben: Pascal Monti hört genau hin – gespannt, ob jede Saite bis zum Schluss die Stimmung hält. Erst am Ende des Konzertes kann auch er sich zurücklehnen. Alles perfekt. Und für den Abtransport des Flügels sind andere verantwortlich.

Text: René Donzé | Fotografie: Nik Hunger

2 Kommentare
    • Urs Blöchliger
      Urs Blöchliger sagte:

      Und für uns eine sehr angenehme Erfahrung mit Ihnen als Protagonisten vor Ort. Immer wieder gerne.
      Auf diesem Weg ganz herzliche Grüsse und eine gute Zeit.

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