Calogero Sgro | Savoy Baur en Ville | Magazin Zürich

21. September 2007
Ein Philosoph und ein Perfektionist

Der Voiturier vom Savoy Baur en Ville

Seit 24 Jahren steht Calogero Sgro vor dem «Savoy Baur en Ville», bei Sonne, Wind und Schneegestöber. Matthias Mächler traf den Voiturier zum Gespräch.

Am Paradeplatz kennt jeder sein Gesicht. Dem rührigen Voiturier des Hotels Savoy fliegen nicht nur spontan die Herzen der Passanten zu, sondern auch die Schlüssel exklusiver Limousinen: Calogero Sgro (64) fährt die Maybach, Ferrari und Rolls-Royce «seiner» Hotelgäste auf der Suche nach Parkplätzen durchs Finanzzentrum. Und geniert sich dabei fast ein wenig. Er mag die Blicke der Passanten nicht. Möglicherweise denken sie, er missbrauche sein Amt für eine kleine Spritztour. Oder er komme sich besonders wichtig vor in diesen Karossen. «Ich fahre lieber einen Topolino», sagt er. Herr Sgro ist der erste Eindruck, den ein Gast vom «Savoy» hat, das Gesicht des Nobelhotels und inzwischen auch ein oft fotografiertes Zürcher Wahrzeichen. Fehlt er mal an der Pforte, wo er seit 24 Jahren jeden Werktag steht, erkundigen sich die Stammgäste, ob Herrn Sgro vielleicht etwas zugestossen sei. «Dabei war ich in all den Jahren nie krank», sagt er und erzählt in seinem quirligen Italo-Schweizerdeutsch vom einzigen Mal, als er nicht arbeiten konnte, weil er sich einen Hexenschuss eingefangen hatte. Der Arzt verordnete ihm zwei Tage Bettruhe. Sgro rief seinen Chef an und sagte: «Ich möchte gerne zwei Ferientage einziehen.»

Alle haben meinen Respekt verdient
So viel Berufsstolz mag heute etwas altmodisch wirken. Für Sgro ist er selbstverständlich: «Wenn man zufrieden ist und seine Arbeit würdevoll erledigt, wird man dafür bewundert. Ist man schlecht gelaunt oder arrogant, hat niemand etwas davon, am wenigsten ich selbst.» Und so zieht Sgro elegant seinen Hut, wenn Gäste ankommen, plaudert mit Passanten, erkundigt sich nach dem Befinden und sagt: «Ich weiss selten, wer jemand ist und was er arbeitet, ich erkenne auch keine VIP. Wozu auch? Es sind doch alles Menschen. Sie haben alle meinen Respekt verdient.»

Wieso wirken Sie so zufrieden, Herr Sgro? Ich habe einen wunderbaren Beruf: Das Leben erzählt mir den ganzen Tag Geschichten. Wird Ihnen nie langweilig, hier draussen vor der Tür? Natürlich gibt es Momente, in denen nichts läuft. Aber ich habe meine Tricks: Ich merke mir Autonummern und addiere die einzelnen Zahlen. So komme ich auf lustige Ranglisten und bleibe erst noch fit im Kopf. Ich will ja nicht nur einen schönen Hut tragen, sondern auch etwas darunter haben. Werden Sie nie neidisch auf die Gäste, die sich alles leisten können? Zum Glück hab ich einen angeborenen Charakterzug, positiv zu denken. Neid ist mir fremd, da bin ich froh. Denn ein kranker Mensch, der positiv denkt, ist nur noch halb krank. Ein gesunder Mensch aber, der negativ denkt, macht sich selber schwer krank. Hätten Sie manchmal gerne mehr Geld? Sie oder ich müssen uns vielleicht um zehntausend Franken kümmern, die wir auf der Bank haben und die existenziell sind für uns. Reiche aber sorgen sich um zehn Millionen im Wissen, dass sie dieses Geld gar nicht zwingend brauchen. Das Leben ist nicht Geld, das Leben ist Liebe!

Ein Perfektionist, der alles gibt
1967 kam Calogero Sgro als Saisonnier nach Zürich. Er wechselte die Stellen oft, arbeitete als Tellerwäscher, im Etagenservice, als Bankettkellner in renommierten Häusern wie dem «Dolder», «Baur au Lac», «Eden». Ein Kollege erzählte ihm von der offenen Stelle im «Savoy» und bläute ihm ein: «Da kannst du aber nicht einfach wieder abhauen. Da musst du mindestens ein Jahr bleiben.» Inzwischen ist Sgro der Dienstälteste in einem Hotel, das bekannt ist für die Treue seiner Angestellten. Erlebt hat er in dieser Zeit eine Menge, seine Anekdoten würden ein ganzes Buch füllen. Man muss sich bloss den Schauspieler Roberto Begnini vorstellen und bekommt eine Idee davon, wie lebhaft Diskussionen zwischen Sgro und Polizisten verlaufen, die den wartenden Autos vor dem «Savoy» Bussen verteilen wollen. Sgro verhandelt leidenschaftlich und ist gut darin, denn er erkennt auch hinter dem Beamten schnell den Menschen. Und er ist ein Perfektionist, der alles gibt. Ein Fauxpas kommt für ihn einem Weltuntergang gleich. Wie damals nach einem Bankett, als er diverse Autos holen musste.

Doch es fehlte ein Porsche-Schlüssel. Die Herrschaften warteten, Sgro schwitzte, der Schlüssel blieb unauffindbar. Bis Sgro darauf kam, im Hotelbus nachzuschauen, der ihn zum Parkplatz gebracht hatte. Tatsächlich: Der Schlüssel war ihm aus der Tasche gefallen. Nicht einmal die Frau des Porsche-Fahrers und der Hoteldirektor zusammen konnten den verzweifelten Sgro beruhigen. Er stand mit Tränen in den Augen da und schämte sich in Grund und Boden. Oder einmal, da hatte er eine falsche Parkplatznummer gedrückt und entdeckte nicht viel später einen Bussenzettel unter dem Scheibenwischer. Sofort ging er zur Post und bezahlte die Strafe aus dem eigenen Sack. Als er das Auto zurückbrachte, fragte der Gast nach der Busse, von der er offenbar wusste. Sgro antwortete: «Die hab ich bezahlt, war ja mein Fehler.» Da zückte der Gast sein Portemonnaie und gab Sgro hundert Franken: vierzig für die Busse und den Rest obendrauf, «weil es selten ist, so redliche Menschen zu treffen».

Calogero Sgro | Savoy Baur en Ville | Magazin Zürich

Ein paar Wochen später begegnete Sgro dem Mann wieder in einer Hotelbar in Luzern. Der Gast erkannte ihn sofort, kam mit offenen Armen auf ihn zu, umarmte ihn und stellte ihn seiner Frau vor. «Das meine ich», sagt Sgro: «Nur mit dem Herzen kann man wirklich gewinnen. Nicht mit Geld.» Dennoch würde er nie so weit gehen und sich mit einem Hotelgast anfreunden: Solche Gefühle gehören «in mein anderes Leben». Dieses beginnt um halb sechs Uhr abends, wenn er seine Uniform ablegt und ins Tram steigt Richtung Wollishofen, heim zu seiner langjährigen Partnerin. In diesem anderen Leben geniessen die Verwandten einen hohen Stellenwert, spontane Ausfahrten in seinem VW Golf und Wanderungen in Einsiedeln. «Da lache ich auch nicht immer. Wenn es mir nicht gut geht, darf ich auch mal weinen.» Allerdings käme er auch in diesem anderen Leben nie auf die Idee, zu klagen: «Viele Leute denken, sie hätten nur Persönlichkeit, wenn sie jammern. Das ertrag ich nicht. Das macht mich nervös!» Ein Jahr noch wird Calogero Sgro jeden Werktag gegen halb acht am Paradeplatz aus dem Tram und seinem anderen Leben steigen, mit der Uniform das Fünfsternegesicht überstreifen und sich vor die Tür des «Savoy Baur en Ville» stellen, obs regnet oder schneit. Was mit der Pensionierung kommt, weiss er nicht. «Zürich, Tessin, Sizilien: Alles ist möglich.» Man müsse ein wenig auf die Gesundheit Rücksicht nehmen. Aber damit stehe es ja glücklicherweise ordentlich, sagt er, nickt charmant einer Passantin zu und lacht: «An guten Tagen fühle ich mich höchstens einundzwanzig.»

Text: Matthias Mächler | Fotografie: Marc Kollmuss

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