Reportagen
Weltgeschehen im Kleinformat

Gestrandet: Kousserie

Traditionelle, hölzerne Kopfstütze, käuflich erworben von einem Strassenjungen.

12° 4’ 31.9” N, 15° 1’ 38.1” E

Kousseri ist eine Stadt der Provinz Extrême-Nord von Kamerun. Im 11. Jahrhundert war sie die Hauptstadt des Sao-Königreichs. Ihr Name leitet sich von dem arabischen Wort qussur, Schlösser, ab. Das bedeutendste Ereignis in der jahrhundertelangen Geschichte des Ortes ist die Schlacht von Kousseri am 22. April 1900. Rabih az-Zubair, ein afro-arabischer Warlord, und Amédée-François Lamy, Oberst der französischen Kolonialtruppen, standen sich gegenüber. Beide verloren in der Schlacht ihr Leben, womit Lamy wohl der einzige Weisse ist, der Kousseri nach­gewiesenermassen nicht wieder schnell verlassen hat. Ein Jahr später ging Kousseri in deutschen Besitz über – zumindest für ein paar Jahre. Heute terrorisiert Boko Haram die Gegend.

Mit der rechten Hand schürze ich das knöchellange arabische Gewand und springe von der rostigen Ladefläche des Lastwagens. Vor mir erhebt sich eine Lehmrundhütte, verkrümmte Akazien wachsen über dem Eingang. Seit zwei Wochen bin ich unterwegs. Durch die kühlen Regenwälder der Hochebene im Zentrum Kameruns, die schroffen Mandara-Tafelgebirge mit ihren Schotter- und Steinhängen bis in die Wüstengebiete des Nordens. Unter der brennenden Sahel-Sonne sind meine Lippen schwarz geworden. Nun trennt mich nur noch eine Tagesreise von meinem Ziel: den Oasen am Ufer des Tschadsees. Doch noch erstrecken sich die südlichen Wüstenausläufer der Sahara vor mir. Die Sicht ist trübe. Sand und Staub wirbeln durch die Luft und legen sich auf die schweissnasse Haut. Hier, an der nördlichen Grenze Kameruns, will ich die letzte Nacht in Kousseri verbringen. Die Stadt liegt am Fluss Chari, auf der anderen Uferseite erhebt sich Ndjamena, die Hauptstadt von Tschad. Kousseri ist eine Ansammlung windschiefer Hütten, teils aus Lehm, teils aus Wellblech zusammengebaut. Aluminium-­Glanz und staubiges Grau-Gelb, so weit das Auge reicht. Das einzige Gebäude, das nicht vom akuten Einsturz bedroht ist, ist die örtliche Moschee. Und obwohl Kousseri 180 000 Einwohner hat, werde ich das Gefühl nicht los, hinter der nächsten Biegung des Feldwegs sei das Dorf zu Ende.

Nach mir klettern nun auch einige Händler vom LKW. Doch im Morgengrauen wollen auch sie weiterziehen nach Ndjamena. Kousseri durchquert man. Man bleibt nicht. Ich winke einen Taxifahrer auf einem Motorrad heran. «Auberge», sage ich knapp. Doch als ich den Mund wieder schliesse, knirscht der Wüstensand bereits zwischen meinen Zähnen. Der Fahrer weiss Bescheid. Es gibt ohnehin nur eine Herberge in Kousseri. Das Zimmer in der Unterkunft teile ich mir mit einigen anderen Gästen – und mein Bett mit einigen käferartigen Insekten. Trotzdem schlafe ich wie ein Murmeltier.

Doch als ich am nächsten Morgen die Herberge verlassen will, grinst der Wirt nur mitleidig. Vor der Tür tobt ein ausgewachsener Sandsturm. An eine Weiterreise ist nicht zu denken. Wie lange das dauern könne? Der Herbergen-Besitzer zuckt nur desinter­essiert mit den Achseln. Einen Tag vielleicht. Oder eine Woche. Der Sturm kommt, der Sturm geht. Nur der Sand, der bleibt.

Von der knarzenden Pritsche im Eingangsbereich der Herberge aus schaue ich dem wütenden gelben Wirbeln vor dem Fenster zu. Zusammen mit mir sitzen noch ein Eier-Händler und ein tschadischer Rebellengeneral fest. Wir schweigen. Eine Stunde. Zwei Stunden. Zweieinhalb Stunden. Dann gibt der General auf: Wo ich herkäme? Wer ich sei? Und vor allem, was ein Weisser in Kousseri mache? Bei der Frage bleckt er die strahlend weissen Zähne, als wolle er ausspucken. Ich sei wohl der Erste seit Jahren. Wie der Wirt zucke ich mit den Achseln. Die Weissen kommen, die Weissen gehen. Nur Kousseri, das bleibt.

Er lacht schallend und lädt mich zu einem Eier-Frühstück ein. Er sei, erzählt er, Befehlshaber in einer Miliz, die vor Jahren die tschadische Hauptstadt eingenommen habe. Jetzt sei er General, seine Miliz Teil der tschadischen Armee. Er besuche seinen Sohn, der im Norden Kameruns wohne. Ob ich mit ihm fahren wolle. Er habe da einen Bekannten mit Auto. Ich nehme noch ein Ei und schlage ein. Zwei Tage später hat sich der Sandsturm beruhigt. Die Nächte habe ich auf dem Boden verbracht und mein Bett den Käfern überlassen. Eine traditionelle, hölzerne Kopfstütze in Form eines Männchens mit überdimensionalen Füssen diente als Kopfkissen. Ganz Kousseri ist nun mit einer Schicht aus feinstem Pudersand bedeckt. Die Luft ist absolut klar. Vor der weiss getünchten Moschee wartet der Bekannte des Rebellengenerals auf der Motorhaube seines ausrangierten Toyotas. Er ist ein freundlicher Kerl mit gelben Zähnen und einem fixierten Dauergrinsen im Gesicht. Doch bevor ich einsteige, drückt er mir einen Kanister mit einer stark riechenden Flüssigkeit in die Arme. «Kein Tank», sagt er, klopft zärtlich auf die verrostete Motorhaube und zieht die Enden zweier Schläuche unter dem Armaturenbrett hervor. Dann bedeutet er mir einzusteigen und schiebt die Schläuche in die Öffnung des Kanisters. Ein orangefarbenes, benzinähnliches Gemisch schwappt darin. Selbst gemixt, aus Nigeria. Der Fahrer hebt den Daumen: gute Qualität.

Da der Fussboden auf der Beifahrerseite fehlt, verkeile ich die Knie am Armaturenbrett. Dann geht es los. Unter mir staubt der gelbe Strassensand Kousseris durch das korrodierte Loch. Mit wilden Sprüngen setzt mein Fahrer über die Dünen am Stadtrand. Hin und wieder verliert er in der Luft die Kontrolle. Setzt das Auto ächzend wieder auf, dreht er sich grinsend zu mir um. Ein fröhliches Jungsfeixen voller gelber Zähne. Doch seine halsbrecherischen Manöver stören mich nicht. Zu viel des Benzins hat sich bereits über meine Kleidung ergossen. Die aromatischen Dämpfe erfüllen das Auto. Schon nach Minuten bin ich high. Unter meinen Füssen flitzt die Wüste entlang. Kousseri duckt sich hinter mir wieder in die Dünen. Nur das weisse Minarett der Moschee bleibt noch einige Minuten sichtbar. Dann ist auch das letzte Zeichen des Wüstenstädtchens verschwunden.

  • Michel Penke

Ursprünglich veröffentlicht in REPORTAGEN #27.
In Beiträgen wie diesem steckt eine Menge Arbeit. Und viel Herzblut. Schade finden wir, wenn sie nur einmal publiziert werden. Folglich haben wir an dieser Stelle quasi eine Fundgrube eingerichtet. Mit, so finden wir, grossartigen Artikeln aus dem Fundus von Reportagen – dem unabhängigen Magazin für erzählte Gegenwart.

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