Reportagen
Weltgeschehen im Kleinformat

Gestrandet: Flughafen Zürich

Raucherzonen am Flughafen sind wie Schaufenster.

Der Türflügel fiel hinter mir zu wie in einer Luftschleuse. Es zog mich rein in die Glashöhle, rein in die Raucherlounge. Lauras Flugzeug hat Verspätung und wird erst um 22 Uhr 45 erwartet. «Erwartet», las ich und dachte «Er wartet».

Irgendwas hat mich in diese Quarantäne für Nikotinsüchtige hineingezogen, obwohl ich nicht mehr rauche. Es müssen alte Verhaltensreflexe im Spiel gewesen sein.

In der Mitte der Glaskabine steht ein wuchtiger Tresen aus Furnierholz. An der Fensterfront dahinter ein zweiter, dort mit Barhockern. Sie gewähren den Rauchenden Ausblick auf die Gepäckausgabehalle. Die Ecke neben der Bar ist mit vier Fauteuils ausgefüllt. Ist das Polster? Nein. Hartplastik. Zwei Männer in zu engen T-Shirts haben sich in die Sitze gezwängt. Sie schauen nicht hoch, als ich mich auf einen Stuhl an den Bartisch vor der Glaswand setze.

Die Smokers-Lounge ist ein Schaufenster. Man raucht, starrt nach draussen und wird von draussen angestarrt. Statische Figuren, deren leere Blicke über die Bartheke wandern oder in die Ferne schweifen. Gelegentlich unterbrochen von Handbewegungen, die Zigaretten an geöffnete Lippen führen, um Lungen zu füttern.

Dass ich nicht rauche, scheint niemanden zu kümmern. Hier interessiert man sich nur für seine Dosis, nicht für das Verhalten anderer.

Ein hohles Pfeifen ertönt.

Die spiegelnde Glasfront vor mir zeigt eine Silhouette. Besuch. Durch die Glastür schiebt sich flink eine Gestalt. Schnaufend wedelt sie mit einem breiten Malerpinsel von Aschenbecher zu Aschenbecher, um nicht ordentlich beseitigte Stummel in die Tiefe der Chromstahlbehälter zu wischen. Gleichzeitig schrubbt sie mit einem Lappen einmal, zweimal das furnierte Mobiliar und bringt dann ihre Augen auf die Höhe der Bartheke, um sicherzugehen, dass sie keine Asche auf der Oberfläche übersehen hat. Schliesslich greift sie nach dem Stift in der Knietasche ihrer Werkhose, signiert den Putzplan an der Wand und entschwindet gleichzeitig mit den zwei jungen Männern aus der Sitzecke durch die luftige Schleuse.

Die Luft riecht nicht mal nach Rauch. Hier wird alles sofort abgesaugt. Dieser Raum kennt keine Vergangenheit. Nichts haftet. Nichts bleibt hängen.

Neben dem Putzplan an der Wand hängt die Hausordnung. Innerhalb der Flughafengebäude gilt Rauchverbot, ausser in den speziell gekennzeichneten Raucherzonen. Die Verwendung von feuergefährlichem Material, auch Kerzen, sowie übelriechender Stoffe ist auf dem gesamten Flughafenareal untersagt.

Beim Eingang der Lounge steht eine kopfgrosse Dromedarskulptur auf einem Chromstahlsockel, umhüllt von ihrer eigenen kleinen Glaskabine. Marketing-Tool, Kunstbekenntnis und Torwächter in einem. Kein Fell, sondern bunt bemalte Keramik. Marokkanische Mosaikmuster, die sich über den ganzen Körper des Dromedars ziehen. In den Leerräume innerhalb des Musters sind viele kleine Dromedare abgebildet.

Überall Dromedare. Auf den Aschenbechern, auf den Bartischen, an der Wand, auf der Glastür. Einige mit Schriftzug: IT STARTS WITH IMAGINATION. LET’S Dromedar.

THE ICON REBORN. SMOKING KILLS.

Draussen, beim Gepäckförderband 15, versammeln sich nun Leute. Eine dünne Frau mit gelber Löwenmähne schert in Richtung Raucherlounge aus. Ihr langer Schatten schiebt sich kurz über die Werbevitrine mit den Zigarettenschachteln. Die Löwenmähnenfrau sucht nach einem Eingang, den es auf ihrer Seite der Lounge nicht gibt. Dann steht sie direkt vor mir. Zwischen uns nur die Glaswand. Mit einer fragenden Geste ihrer Hand – gräuliche Adern auf blasser Haut – fängt sie meine Aufmerksamkeit. Ich zeige auf die Tür hinter mir.

Sie geht zum Förderband, bleibt stehen und schaut zurück, bis ich mich von ihrem Blick löse.

Durch die Luftschleuse tappen zwei schwitzende Männer in zerknautschten Blazern. Am Stehtresen saugen sie an ihren klobigen E-Zigaretten. Zwischen flüchtigen Dampfwolken starren sie auf Tablets, lesen Statistiken und geben schnarchende Laute von sich. Eine Form von Kommunikation. Es riecht nach Gummi-Erdbeeren. Ein Handy summt. Ein knappes Gespräch hinter einer vorgehaltenen Hand.

Drüben kommen die leeren Förderbänder in Schwung. Man kann hören, wie sie hinten am Tresen in der Lounge ihre Lungen füllen und entleeren. Die Glastür schwingt auf. Ein Pilot und eine Flugbegleiterin trippeln zu uns in die Glashöhle  und setzen sich neben mich an die Bar. Die Frau hat etwas Vogelhaftes. Das Gesicht des Piloten erinnert an Teig. Langgezogene Backen, lange Nase, lange Ohren. Die Zigaretten glühen auf, aber knistern nicht beim Ziehen. Wir sind hier nicht in einem Hollywoodfilm.

Ihre knochige Hand drückt die zweite Damen-­Zigarette in den Aschenbecher. Im Spiegel der Glasfront treffen sich unsere Blicke, und unter toupierten Haaren zeigt sich ihr müdes Gesicht. Sie räuspert sich, worauf der Pilot nebenan kurz seinen Kopf hebt und fast nickt. Sie stöckelt wortlos durch die Luftschleuse nach draussen.

Drüben spuckt die Ausgabe nun Gepäckstücke auf die Bänder und hypnotisiert die Wartenden. Ich schliesse meine Augen und lausche dem Surren der Lüftung. Und nochmals pfeift die Glastür. Die Putzfrau setzt sich an die Bar. Diesmal ohne Pinsel und Lappen. Sie isst ein Käsebrot und trinkt ein Wasser. Hustend betrachtet sie auf ihrem Smartphone Bilder von Kindern.

Mein Telefon vibriert. «Hey! Wo steckst du?», fragt Laura.

  • Claudio Landolt

Ursprünglich veröffentlicht in REPORTAGEN #47.
In Beiträgen wie diesem steckt eine Menge Arbeit. Und viel Herzblut. Schade finden wir, wenn sie nur einmal publiziert werden. Folglich haben wir an dieser Stelle quasi eine Fundgrube eingerichtet. Mit, so finden wir, grossartigen Artikeln aus dem Fundus von Reportagen – dem unabhängigen Magazin für erzählte Gegenwart.

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