Kolumne
Apropos Mode
Melanie Hanimanns Schatztruhe
Kostbarkeiten wollen nicht gefunden, sondern entdeckt werden. Oder man stolpert über sie. In Ghana etwa oder, näherliegend, in Melanies Modeagentur.
Vorneweg, quasi als Einführung, dies: Für die Kostbarkeit, über die ich hier schreibe, gibt es eine Vielzahl von Bezeichnungen. Mali- oder Schlammtuch, Mudcloth, Bogolan oder Bogolanfint. Letzten Endes jedoch umschreiben die Termini ohne Unterschied eine Webtechnik samt einem Stofffärbeverfahren, das ursprünglich aus Mali stammt und dort seit dem 12. Jahrhundert praktiziert wird. Wollte man Herkunft, Machart und Brauchtum auf den Grund gehen, wäre höchstwahrscheinlich ein Buch nötig, daher hier die Kurzform dazu: Der handgewobene und rein pflanzlich eingefärbte Baumwollstoff zählt weltweit zu den authentischsten Textilien und zu den spannungsreichsten. Mehr dazu direkt von der Protagonistin, über die nachstehend berichtet wird und die gerne Rede und Antwort steht, oder im World-Wide-Web.
Jetzt zum Kern der Sache: Obschon jedermann, im Übrigen mit bemerkenswertem Aufwand an Zeit und Geld, daran arbeitet, sich einen eigenen Stil zu verpassen, sehen die Leute trotzdem, um es so taktvoll wie möglich zu formulieren, immer gleicher aus. Ob dies auf fehlende Courage, mangelnden Ideenreichtum oder auf die Kommerzialisierung der Modetrends zurückzuführen ist, lassen wir hier offen. Beziehungsweise überantworten es des kritischen Lesers Vorstellungskraft.
Während also die «zivilisierten Kunden» in der globalisierten Welt alle denselben kommerziellen Kram erwerben, damit zugegebenermassen die marktwirtschaftliche Weltordnung im Lot halten, handkehrum uniform gekleidet durchs Leben hetzen, werden an der Elfenbeinküste handfeste Novitäten kreiert. Gestützt auf Brauchtum, durchwirkt mit mystischen Statements, kombiniert mit Modernität und, weil nichts anderes als Pflanzen, Lehm und Sonne genutzt werden, mit dem nötigen Respekt für die Umwelt.
Einen Cape Cloak aus Bogolan erstehen
Bis vor wenigen Tagen hatte ich, um bei der Wahrheit zu bleiben, keinen Schimmer, was ein Schlammtuch ist, geschweige denn woher es stammt, wie es produziert wird und wozu solcherlei dient. Wäre ich nicht zufällig über eine Meldung gestolpert und dadurch auf Melanie Hanimann und ihr Projekt aufmerksam geworden, hätte diese Wissenslücke, so ist zu vermuten, noch eine geraume Weile bestanden. Was wohl nicht schlimm, streng besehen jedoch ein entschiedenes Versäumnis gewesen wäre. Nämlich etwas Neues zu lernen und obendrauf einen Cape Cloak aus Bogolan zu erstehen. Beides ist, so finde ich, äusserst lohnenswert.
«Ein kleines Gegengewicht zu Hektik, Stress und sinnloser Massenware.»
Melanie kam, im übertragenen Sinne, nach Ghana, sprich zur dortigen Modeszene, wie ich zu meinen neuen Errungenschaften. Völlig unerwartet und irgendwie unbeabsichtigt. Dass sie dort sozusagen hängenblieb, sprich ihr Herz an Land und Leute verlor, hat hingegen nichts mit Zufall, sondern mit den freundlichen Menschen und deren riesigem Potenzial zu tun. Insbesondere was Handwerkskunst, Talent und Kreativität betrifft. «Afrika», so sagt Melanie, «hat ein offenes Herz mit einer immensen Vielfalt an Kulturen und Traditionen.» Um das kreative Reservoir Westafrikas zu nutzen, quasi als Gegenpol zur allgegenwärtigen Fast-Fashion-Gesellschaft, gründete Melanie die Modeagentur Hanimanns. Was gut ist und richtig: Unter dieser Marke knüpft sie Kontakte, stösst einheimischen Designern und Handwerkern Türen zu neuen Welten auf und vertritt den bunten Haufen in aller Herren Länder: Was noch besser ist und fast schon perfekt: Melanie und ihre Schützlinge freuen sich daran, je länger, je mehr, dass die Idee fruchtet und die gemeinsam entwickelten Kreationen Anklang finden. Und verkauft werden.
Jedes einzele Stück erzählt eine Geschichte
Zum Schluss noch dies: Melanie Hanimann, Brückenbauerin zwischen zwei Welten und Sprachrohr einer Schar von tüchtigen Handwerkern und Designern, macht, während Mode stets nichtssagender wird, einen Schritt, oder auch zwei, zurück und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf handwerkliches Können und traditionelle Macharten. Das ist ein guter Weg, finde ich. Und, nebenbei bemerkt, eine Wohltat für die Seele. Jedes einzelne Stück erzählt eine Geschichte und ist Ausdruck der Persönlichkeit des Handwerkers, ist ein kleines Gegengewicht zu Hektik, Stress und sinnloser Massenware.
Text: Urs Blöchliger | Fotografie: Oliver Malicdem
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