Um am letzten Tag auf der Krim alles richtig zu machen, könnte ich einfach nichts tun. Das Zimmer an der schönen Strandpromenade Jaltas behalten, sonnenbaden, Flusskrebse lutschen, abends das Feuerwerk am Himmel bestaunen. Schliesslich feiert die Stadt an diesem Wochenende Geburtstag – den sechsten unter russischer Fahne und ganz autonom. Weshalb sie vor fast ausschliesslich russischen Feriengästen birst.
Stattdessen beschliesse ich, dass ein Tag am Strand zu dumpf ist. Lieber Kulturprogramm, lieber den Woronzow-Palast in Alupka ansehen, einer Vorstadt von Jalta. Bloss ein halbes Jahrhundert lang liess Fürst Woronzow daran bauen. Von demselben Palastbauonkel, der sich auch den Buckingham Palace überlegt hat. Während der Jalta-Konferenz airbnbte Winston Churchill dort. Und bat bei Abreise, einen der Marmorlöwen vom Anwesen mit nach England nehmen zu dürfen, gegen gutes Geld. Darauf soll Stalin erwidert haben: «Nö, das ist mein Marmorlöwe.»
Zum feierlichen Jubiläumsläuten der Klosterglocken Jaltas steige ich morgens in die Marschrutka nach Alupka. 34 Grad, perfektes Wetter, um dem Strand abzuschwören und sich in einen stickigen Kleinbus zu zwängen. Und zu lernen, dass Marschrutkas nicht nur als sowjetische Sammeltaxis bezeichnet werden, da sie unterwegs Passagiere aufsammeln. Und dass sich bei den darin Zusammengepferchten unweigerlich Aggressionen gegeneinander ansammeln. Da helfen auch die stoischen Berge und der Ausblick auf das Schwarze Meer, das eigentlich himmelblau ist, nichts. Besonders, solange der schäumendste Säuresammler der Fahrer selbst ist. An der Art, wie er das keuchende Vehikel den kurvigen Berg hochpeitscht und dabei die Insassen herumschleudert, ist spürbar, dass er uns alle hasst. Nein, der ist ganz sicher nicht vom bevorstehenden Feuerwerk beseelt. An politischen Gründen wird das eher nicht liegen, hängt doch eine Fahne Russlands von einem soldatisch strammen Plastikstäbchen über seinem Armaturenbrett.
Eine jahrelange Stunde dauert die heisse Hasshatz. Als ich endlich in Alupka aussteige, würde ich am liebsten jemandem direkt eine ins Gesicht feuern. Und stelle ausserdem fest, dass ich plötzlich nicht die geringste Lust verspüre, den Drecksprachtpalast zu besichtigen. Öhh, guck mich an, ich bin an der Meeresseite maurischer Baustil und von der Bergseite her neogotisch. Öhh, guck, ich hab 150 Zimmer, und keiner darf drin schlafen. Auch noch Eintritt zahlen, um diese Dekadenz zu beklatschen? Nee. Wenn ihr nicht ständig Marmorlöwen restaurieren würdet, bliebe vielleicht auch mal Geld für richtige Nahverkehrsmittel!
Halbe Stunde durch die Parkanlage gelatscht, alle Pflanzen ignoriert, aber ein wenig abgeregt. Ich hätte den letzten Tag auf der Krim einfach dem herrlichen Wetter widmen sollen. Das Wetter kann sich der Kreml nicht als Verdienst ans Revers heften. Na ja, auch in Alupka gibt es einen Strand und Hotels. Dort hinzugelangen, dauert zwar fast zwei Stunden, und der wunderbare Sommertag stiehlt sich immer weiter hämisch lachend davon, aber noch ist alles rettbar.
«Jungchen, in Alupka muss man mindestens ein halbes Jahr im Voraus reservieren. Wir sind ausgebucht.» Wir sind ausgebucht. Wir sind ausgebucht.
Und jetzt? Nach Jalta zurück? Widerwille. Den Bus nach Simferopol und morgen dann etwas praktischer zur russisch-ukrainischen Militärgrenze? Widerwille. Mir selbst für den durch Überambition verkackten Tag verzeihen? Widerwille. Schliesslich die praktischste der drei Pestbeulen, Bus nach Simferopol, in einer Stunde. Immerhin die erste weich vergehende des Tages, im Café zum Klang georgischer Volksmusik, während die Sonne beginnt, sich allmählich zu senken. Schon schade ums Feuerwerk in Jalta, bestimmt mächtig malerisch, zwischen Gebirgsreihen und spiegelungseifrigem Meerwasser.
«Ah, da sind Sie ja, Jungchen. Ich habe Sie schon zweimal ausrufen lassen. Der Bus nach Simferopol fällt aus, es war der letzte für heute. Die Marschrutka nach Jalta fährt von Plattform 2.» Marschrutka? Ich schaue zur Haltestelle, ein überquellendes Sammelbecken stehender Säure. O nein, da esse ich lieber einen Marmorlöwen. Und zahle einem Taxifahrer genug für einen Palast.
Wieder in Jalta, beginnt die Suche nach einem Nachtlager. Wir sind ausgebucht. Wir sind ausgebucht, wir sind ausgebucht. Selbst die Pensionäre, die sonst verzweifelt mit ihren Wohnungsschildchen in den Strassen hocken und so versuchen, ihr bisschen russische Rente aufzubessern, lachen mich aus. «Jungchen, Jungchen, du machst uns Spässe.»
Ich schwöre, wenn mich noch einer hier Jungchen nennt, gehe ich in die Luft und explodiere in hundert Funken rieselnd rote Rage. Nicht ein Zimmer, nirgends. Ist denn ganz Russland gerade auf der Krim? Aussen, am Rande der Stadt, fernab von aller Festlichkeit, würde ein alter Herr sein Zimmerchen für 1000 Rubel (rund 143 Marschrutka-Fahrten) bereitstellen. «Ein bisschen müsstest du aber auf die Oma Rücksicht nehmen, Jungchen.»
Im Bristol-Hotel ist ein «Freies Zimmer»-Wunder geschehen. Es wäre nicht mal die Hälfte des Preises wert, aber egal. Wenigstens liegt das Hotel direkt an der Promenade, in Hauchnähe zum Feuerwerk, himmlische Kompensation für einen unterirdischen Tag. Tür zu, Bett, Whisky aus der Minibar. Nur ganz kurz ausruhen, dann nichts wie raus zum Fest, wenn ich schon hier festsitze. Wohlig weich ist dieses Wucherbett ja schon. Vielleicht für ein klitzekleines Augenblickchen die Augen ausruhen, brauche sie ja gleich noch farbenfit. Zehn Minuten, höchstens. Wer schiesst da? Wo bin ich? Wieso weckt mich keiner? Selber Jungchen!
«Alles Gute zum Geburtstag, Jalta!», schallt es von der Strasse. Feuerwerk schon vorbei.
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