Reportagen
Weltgeschehen im Kleinformat

Gestrandet: Mitterteich

Kalorienreicher Klassiker: Hamburger Royal TS von Mc Donalds.

49° 57’ 03″ N, 12° 14’ 37″ E

Mitterteich ist ein kleiner Ort in Ost­bayern, nah an der tschechischen Grenze. Es gibt ein Porzellanmuseum, ein Zwischenlager für Atommüll und zwei Autobahnausfahrten: Mitterteich Nord und Mitterteich Süd. An der Autobahn eröffnete McDonald’s 1997 eine Filiale.

Das Gewerbegebiet, in dem die Filiale liegt, ist eine langgezogene Kurve, an der ein paar Unternehmen siedeln. In der Nachbarschaft gibt es ein Spielkasino und einen Baustoffhandel.

McDonald’s baute 2007 aus, setzte neben den eierschalenfarbenen Flachbau einen knallorangen Quader und eine Terrasse. Heute ist McDonald’s Mitterteich rund um die Uhr geöffnet, hat 103 Sitzplätze im Innenbereich, 80 draussen, eine Rutsche und ein Drive-in.

Ich steige aus einem schwarzen BMW und bin unfassbar gut drauf. Zum Dank klopfe ich zweimal auf die Heckklappe, was sonst nicht meine Art ist, und verbrenne mir fast die Faust dabei. Es ist Anfang August, noch nicht einmal Mittag, und ich hab schon 230 Kilometer gepackt, die halbe Strecke. Da bin ich: McDonald’s Mitterteich. Have a break, denke ich vor lauter guter Laune, have a milkshake.

Am Morgen bin ich mit einem Pappschild an den Dresdner Stadtrand gefahren. Auf die Pappe hatte ich MÜNCHEN geschrieben, in krakeligen Grossbuchstaben, mit grösster Mühe. Meine Mission: zum ersten Mal trampen. Ich malte mir das schön aus, unbeschwert, irgendwie sozial und halt billig. Mein Ziel ist Ljubljana, wo ich lange nicht gesehene Freunde wiedertreffen will. In München will ich einen Zwischenstopp einlegen und übernachten.

So habe ich also vor einigen Stunden in Dresden Kemnitz an der Autobahnauffahrt gestanden und bin mir grenzenlos albern vorgekommen, bis nach fünf Minuten einer anhielt. Zack war ich unterwegs! Zweimal umsteigen, zweimal nicht lange rumfragen, um zurück auf die Autobahn zu kommen. Flow. Nach Mitterteich brachte mich eine polnische Maskenbildnerin, unterwegs mit ihrer brasilianischen Nichte. Ein McDonald’s an der A93 zur Mittagszeit – perfekt, da kann ich den Münchnern schon mal melden, dass ich zum Kuchen da bin. Dachte ich.

Restlos im Einklang mit mir, der Welt und dem Vanilleshake sitze ich also auf der McDonald’s-Terrasse, neben mir die rote McDonald’s-Rutschröhre, in die ein Kind in Dauerschleife Alle Vögel sind schon da hineinbrüllt. Vögel sind grad noch keine da, aber die Autobahn rauscht gelassen in Sichtweite vor sich hin. Wie ich so den Wolken nach­starre, ist da plötzlich ein Stechen in meinem rechten Unterarm. Als würde jemand versuchen, mir eine Schraube reinzudrehen.
Ich schaue nach: Eine Wespe steckt da zwei, drei dreiste Sekunden. Ich wisch sie weg, sie summt davon Richtung Autobahn, als wär nichts gewesen.

Mechanisch hole ich mir Eis von drinnen, schaue den Würfeln beim Schmelzen auf dem pochenden Arm zu und fange an, wütend zu werden. Über die Sinnlosigkeit der Attacke, auf den Milchshake, der warm geworden ist. Wütend auf das Kind in der Rutsche, das aufs Neue Amsel, Drossel, Fink und Star preist. Zeit, sofort zu verschwinden.

Zweieinhalb Stunden später. Ich hocke hundertfünfzig Schritte von der McDonald’s-­Terrasse entfernt auf einem Stein am anderen Ende des Parkplatzes. Im Schatten, unter dem einzigen Baum hier an der Ausfahrt zur Landstrasse, die dann hoch zur Autobahn führt. Gluthitze. Keine Überraschung wäre es, würde der dürre Ahorn im nächsten Moment in Flammen aufgehen. Eine Überraschung wäre es, wenn sich endlich jemand erbarmen würde anzuhalten, um mir mit herzlicher Geste zu bedeuten, doch bitte einzusteigen.

Längst habe ich alle Gedanken verworfen, dass es an mir liegen könnte. An meinem durchschwitzten Hemd, an meinem Bart, an meinem unwirschen Gesicht, auf dem die Angst eines Mannes zu lesen ist, der nicht hängenbleiben will, hier, im oberpfälzischen Nirgendwo. Ich rede mir aus, dass es an meiner seit Grundschulzeiten katastrophalen Handschrift liegen könnte, an dem verkrakelten MÜNCHEN auf dem Pappschild; oder an der Wespe, der schwarzgelben Bestie, die mein Glück fortgestochen hat. Es liegt an Mitterteich, an diesem verschissenen Parkplatz in dieser brüllenden Hitze.

Dutzende Menschen habe ich auf dem Parkplatz gefragt, ob sie mich mitnehmen können. Ich hocke unter dem lächerlichen Ahorn zwanzig Meter entfernt. Alle paar Minuten, immer wenn ein Auto den Parkplatz verlässt, gehe ich an meine physischen und psychischen Grenzen und reisse Schild und Mundwinkel hoch. Die Leute drehen sich demons­trativ weg und schauen nach rechts, obwohl da rechts auch nichts ist, ausser der Parkplatz vom Kasino nebenan. Andere schütteln derart den Kopf, als würde Mombasa auf meinem Schild stehen – und nicht München, was wirklich nur 230 Kilometer die A93 runter ist.

Ein Tramper braucht Geduld. Kein Tramper braucht den McDonald’s-Parkplatz in Mitterteich. Oder doch? Vielleicht sind es diese tristen Orte, die das Trampen erst magisch machen. Die Frustration dort vervielfacht die Freude und Dankbarkeit, wenn dann nur endlich, endlich einer anhält.

Ich erblicke einen weissen VW-Bus, drinnen offenbar die fröhlichsten, freundlichsten Menschen weit und breit. Leider nach Thüringen unterwegs, in die Gegenrichtung. Eine Tür fliegt auf, ein Mädchen in Zitronengelb schwebt hinüber zu meinem Stein und strahlt mich an. Sie sagt: «Das wird schon!», als ob sie wirklich Bescheid wüsste. Hinter ihrem Rücken zaubert sie, wie einen Tulpen­strauss, ein Dosenbier hervor. Beim Winken bin ich sicher, dass sie recht hat.

Es ist ein Montagnachmittag im August, auf einem Parkplatz irgendwo in der Oberpfalz, als die rote Dose leer ist. Ein Werkzeugbauer aus Linz liest mich auf, und schon nach ein paar Kilometern kann ich wieder summen, wenn ich an Mitterteich denke: Amsel, Drossel, Fink und Star.

  • Christoph Farkas

Ursprünglich veröffentlicht in REPORTAGEN #28.
In Beiträgen wie diesem steckt eine Menge Arbeit. Und viel Herzblut. Schade finden wir, wenn sie nur einmal publiziert werden. Folglich haben wir an dieser Stelle quasi eine Fundgrube eingerichtet. Mit, so finden wir, grossartigen Artikeln aus dem Fundus von Reportagen – dem unabhängigen Magazin für erzählte Gegenwart.

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