Kemmeriboden-Bad | Feuilleton | Magazin Zürich

31. Januar 2018
Erzählungen aus dem Emmental

Ämmitaler Urgestein

Schangnau, Wedälä und Merängge. Kauderwelsch? Weit gefehlt, wie Recherchen vor Ort ergeben. Und ja, es hat auch mit einer Mahlzeit zu tun.

Es sind Bezeichnungen für ein Emmentaler Dorf, für gebündelten Reisig und für eine Ämmitaler Spezialität aus geschlagenem Eiweiss. Die drei sind quasi untrennbar miteinander verbunden und haben einen weiteren gemeinsamen Herzensbruder: den Landgasthof Kemmeriboden-Bad.

Über das Dorf Schangnau müssen wir nicht reden, finde ich. Ausser über die Bäckerei Stein – darauf komme ich noch zurück. Sprechen müssen wir zuerst über Hans Schenk. Ehemals Landwirt und mit 86 Jahren so rüstig, wie es manch junger Bursche gerne wäre, aber vermutlich nie sein wird. Vom Hügel Knubel bei Eggiwil aus, die Emme vor Augen, fertigt er Jahr für Jahr knapp tausend Wedälä an. Er begann mit dieser Arbeit nach seiner Pensionierung 1997 und ist einer der Wenigen, die dieses alte Handwerk noch beherrschen.

Wedälä, ein typisches Emmentaler Wort, ist ein Reisigbündel, man kann es auch Wedele oder Bürdeli nennen, aus zusammengebundenen kleinen Ästen. Schenk nimmt dazu ausschliesslich Tannenholz. Sein Freund Fritz Salzmann, der Förster, ruft ihn zu sich, wenn Bäume gefällt werden und am Boden liegen. Hat Schenk genügend Astwerk geschnitten und gesammelt, transportiert er dieses nach Hause und verarbeitet es dort auf dem «Bock» zu Wedälä.

Pro Tag zwei bis drei Wedälä
Hans wichtigster Kunde ist Christian Oberli von der Bäckerei Stein. Dieser ist bekannt als Stein Chrigu und berühmt für seine Merängge. Erfunden hat die feine Schleckerei sein Vater, der hiess ebenfalls Christian, in den 1940er Jahren. Chrigu selber ist auch schon Mitte siebzig, aber noch immer im Betrieb tätig. Zeitweise wenigstens. Streng genommen wird die Bäckerei längst von seiner Tochter und ihrem Mann betrieben. Nichtsdestotrotz: Um Merängge zu machen braucht Oberli pro Tag zwei bis drei Wedälä. Das ganze Jahr hindurch. Tag für Tag. Denn der Holzbackofen aus dem Jahr 1895 ist in Dauerbetrieb und darf nie ganz erkalten. Darüber wird mit Argusaugen gewacht. Und für Nachschub bei den Wedälä ist gesorgt. Chrigu kauft sie bei Hans Schenk noch jung und grün, lässt sie zwei Jahre trocknen und hat sich einen turmhohen Vorrat davon angelegt. 2000 Stück, um es in Zahlen auszudrücken.

«Um Merängge zu machen braucht Oberli pro Tag zwei bis drei Wedälä.»

Den Landgasthof Kemmeriboden-Bad kennt, so ist anzunehmen, jedes Kind. Und sei es auch nur darum, weil es dort bekanntermassen die besten und, hier mutmasse ich, grössten Merängge gibt. Wo die herkommen, das dürfte mittlerweile enträtselt sein und ich sage nur: Merci Chrigu. Nicht alle wissen hingegen, und das ist ein Jammer, dass es unmittelbar hinter dem prächtigen Landgasthof einen Rundweg gibt. Einen ganz besonderen Pfad. Eigentlich ein Lehrpfad. Dort kann man sich nicht nur die Füsse vertreten und dabei die überschüssigen Kalorien der besagten besten und mutmasslich grössten Merängge loswerden, da kann man sich auch noch Bildung aneignen. Und zwar auf ganz entspannte Art und Weise.

Das Ganze sickern lassen
Reto Invernizzi, Inhaber und Gastgeber des Hotels, ist Urheber der famosen Idee und Anstifter der Aktion. Zusammen mit seinen Kumpels Pinaki und Peter Arnold fotografierten sie Ortsansässige und Anrainer, schrieben Texte dazu, rammten Pfähle in den Boden und hängten die Porträts dran. Acht Stück sind es, um genau zu sein. Jedes flankiert von einem hübschen Bänkli, von Kumpel Peter Arnold angefertigt. Will man sich das Betrachtete zu Eigen machen, braucht es diese Bänkli auch. Sie lassen es zu, dass man sich an Ort und Stelle hinhockt, über stehengebliebene Momente und festgeschriebene Worte nachdenkt und das Ganze sickern lässt. Die Geschichte übrigens, von Hans Schenk und vom Stein Chrigu, habe ich von dort. Ich erzähle sie nur ein bisschen ausführlicher.

Text: Urs Blöchliger | Fotografie: Pinaki

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