Liliana Stiens | Tertianum AG | Magazin Zürich

17. Juli 2018
The Art of Living Slowly

Die Notwendigkeit der Langsamkeit

Was immer wir tun, wir tun es im Allgemeinen schnell. Schnell jedoch ist, so meine Meinung, fehleranfällig. Zudem geht schnell nicht tief. Das sollte es aber.

Schliesslich, so sagte ein kluger Kopf vor mir und stützt meine These, «überleben Bäume mit tiefen Wurzeln Stürme besser».

Die Welt dreht sich, so macht es den Anschein, immer schneller. Die Erwartungen an uns steigen permanent, die Kadenz für Entscheidungen ebenso. Gleichzeitig wird vieles oberflächlicher. Gesamthaft sind wir überinformiert, der Einzelne trotzdem ratlos. Oder erst recht. In dieser Zeit, wo Werte sich verschieben, sich neue Orientierungspunkte nur schwer ausmachen lassen und sich kaum jemand Zeit nimmt, in die Tiefe zu gehen, braucht es Gegenentwürfe. Eine Einladung, und zwar quer durch die Bank, zur bewussten Langsamkeit beispielsweise.

Dass wir Entschleunigung benötigen, wird immer deutlicher. Seit 2007 gibt es darum, nur als Beispiel, den internationalen Tag der Langsamkeit. Die Leitidee der Bewegung, die den Namen «The Art of Living Slowly» verwendet, gründet in der Überzeugung, dass bewusste Langsamkeit die Lebensqualität der Menschen markant erhöhen kann. Diese Lebenshaltung definiert Werte wie Karriere, Erfolg oder Reichtum anders. Bei den im Rahmen dieses Tages organisierten Wettläufen gewinnt derjenige, der zuletzt ans Ziel gelangt.

«Das lindert das hohe Tempo und klärt den Blick für das Wesentliche.»

Die hohe Geschwindigkeit im Alltag erschwert auch die zwischenmenschliche Begegnung. Echtes empathisches Zuhören ist zu einer seltenen Fähigkeit–  und einer gut bezahlten Dienstleistung – geworden. Und dennoch scheinen Zuhörende eine aussterbende Spezies zu werden, obschon sich im bewussten Umgang mit Zeitdruck und erlebten hohen Erwartungen wohl vieles ändern und um einiges klüger gestalten liesse. Oft sind es nämlich gerade die bewussten Momente, die einen positiven und sich verstärkenden Fluss in den Alltag bringen. Je aufmerksamer wir den jeweiligen Moment wahrnehmen, desto einfacher überwinden wir unsere oft fehlerhaften Automatismen, gestrigen Regelkreisläufe und blinden Repetitionen. Persönlich verbringe ich darum gerne regelmässig viel Zeit in der Natur, nehme bewusst am Wechsel der Tages- und Jahreszeiten teil. Das lindert, die Füsse fest im Boden verankert, das hohe Tempo und klärt den Blick für das Wesentliche.

Einer meiner Träume in Bereich Langsamkeit ist es, später einmal die alte japanische Kunst Kintsugi, die traditionelle Art, gesprungene Keramik durch die Verwendung von Gold und Lack wieder ganz zu machen, zu erlernen. Kintsugi lehrt beharrliche, wache Langsamkeit, Geduld sowie Wertschätzung den wieder zusammengefügten Gegenständen gegenüber. Sie versucht auch nicht, das Flickwerk zu kaschieren, sondern verleiht der Keramik durch das wache, erneute Zusammenfügen  zeitlose Schönheit, Funktion und Kraft.

Text: Liliana Stiens | Fotografie: Karine & Oliver

Für Liliana Stiens, Geschäftsführerin der Seniorenresidenz Tertianum Zürich-Enge, zählen Ruhepausen und Langsamkeit zu den wahren Reichtümern, die zu bewahren und kultivieren sich lohnt.

Liliana Stiens | Tertianum AG | Magazin Zürich
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