Geheimnisvoller Türlersee | Feuilleton | Magazin Zürich

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Geheimissvoller Türlersee

Je nach Wetterlage hat der Türlersee ganz unterschiedliche Gesichter. Und darum lohnt sich der Weg dahin allezeit.

An einem sonnigen Tag sieht er hell und heiter aus, ziehen aber Blitz und Donner heran, wirkt er düster und beängstigend. Da erstaunt es nicht, dass seit jeher die Fantasien der Menschen beflügelt wurden und einige Sagen entstanden sind. Eine davon handelt von der bösen Vrene und wird von Ernst Ludwig Rochholz erzählt.

Nachfolgende eigenthümliche Sage hierüber beruht auf der schriftlichen Mittheilung, die wir dem Herrn Heinrich Gessner, Lehrer im zürcherischen Lunnern, zu verdanken haben. Bei letztgenanntem Orte im Bezirk Affoltern liegt am südlichen Fusse des Albis der unheimliche Türlersee, der tiefste im ganzen Zürcher Lande. Seinen Namen hat er von seiner Lage, da er an des Berges Engpasse und Thore: turilin, gelegen ist. Er sammt der Umgegend gehörte in der Vorzeit einer starken, herrischen und arbeitsrüstigen Frau an, die beim Volk Frau Vrene hiess. Da begab es sich, dass die Leute von Heferschwil, einem Weiler der Gemeinde Mettmenstetten, wegen einer fruchtbaren Gemarkung am Jungalbis mit dieser Frau in einen heftigen Eigenthumsstreit geriethen, der kein Ende nahm, weil sie in ihrem Stolze sich weigerte vor einem Richter des Landes zu erscheinen.

«Hier kannst du gartnen, Vrene!»

Mit Hülfe fahrender Schüler zog sie in einer einzigen Nacht einen tiefen breiten Graben durch das ganze Jungalbis und schied so ihr Eigenthum für immer vom Gelände der Gegner. Der Graben war gezogen bis zum Türlersee, es fehlte nur noch der letzte Spatenstich, so würden die Wasser sich über ganz Heferschwil ergossen haben. In diesem Augenblick aber erfasste einer der fahrenden Schüler die Frau und entführte sie durch die Lüfte auf die Westseite des Glärnisch, setzte sie hier auf einer weiten grünenden Berghalde ab, wies ihr diese zum Aufenthalt an und sprach: «Hier kannst du gartnen, Vrene!» Dorten hat sie darnach so lange Zeiten gehaust, bis dieser schöne Alpengarten endlich sich in eine weite Firnstrecke verwandelte. Noch steht Frau Vrene daselbst, den Spaten in der Hand, zur Eissäule erstarrt, mitten in dem von Felsmauern eingefassten Schneefelde, das bis ins Knonauer Amt herüberblinkt.

Text: Ernst Ludwig Rochholz | Fotografie: Agentur

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