3. Juli 2017
Message in a Bottle
Die Flasche und das Meer
Die Flaschenpost ist quasi die Antithese zu modernen Kommunikationsmitteln wie WhatsApp. Schreibt Andrea Keller und ist voll des Lobes darüber.
Worte – mitsamt der Hoffnung in die Wellen entsandt. Reisedauer, Ankunftsort und Empfänger? Unbekannt. Die Flaschenpost ist quasi die Antithese zu modernen Kommunikationsmitteln wie WhatsApp. Und auch wenn es gut ist, dass nicht jeder seine Gedanken ins Meer schleudert, lob ich mir hier und da Geistreiches in der Flasche.
Manchmal passierts: Der Mensch greift zur Buddel. Die Gründe dafür sind vielfältig und unterschiedlichster Natur. Den einen quält die Einsamkeit, der andere hat Sehnsucht, Liebeskummer. Heimweh. Der dritte versinkt gerade oder ist tatsächlich gestrandet. Manchmal leert man die Flasche, Prost, manchmal füllt man sie auch – mit Post. Genau. Und das tat man schon lange bevor Sting sein «SOS to the world» in den Äther raus sang („A year has passed since I wrote my note, I should have known it right from the start, Only hope can keep me together, Love can mend your life but love can break your heart…“) oder das Drama «Message in a Bottle» mit Kevin Costner und Robin Wright in die Kinos kam.
Wahre Hühnerhaut-Geschichten
Flaschen mit einem Schreiben drin wurden bereits 310 Jahre vor Christus verschickt, als der griechische Philosoph Theophrastus die Idee hatte, auf diese Art und Weise der Theorie auf den Grund zu gehen, dass der Atlantik ins Mittelmeer fliesst. Seither wurden mit der Flaschenpost nicht nur Strömungen erkannt und erkundet, sondern auch Geschichten geschrieben. Auch solche, die ans Herz gehen.
Da gibt es beispielsweise die des Schweden Ake Viking. Der Seemann entschied sich im Jahre 1956 für eine besondere Art der Annonce. Er schrieb die Worte «An jemanden, der schön und weit entfernt ist» auf einen Zettel, notierte dazu seine Adresse, steckte die Botschaft in eine Flasche – und warf den Gruss mitsamt seiner Hoffnung in die Wellen. Nach zwei Jahren strandete die Nachricht: bei einer Sizilianerin namens Paolina. So richtig schön fand sie sich zwar nicht, trotzdem antwortete sie. Und, ja, Sie ahnen, was kommt: Liebe. Viking besuchte Paolina und blieb bei ihr. Hochzeitsglocken. Happy End.
Trauriger, aber auch schaurig unglaublich ist die Geschichte eines Mannes, der auf der Suche nach einem ganz anderen Schatz war, nämlich einem goldglänzenden auf dem Meeresgrund: 1794 strandeten Chunosuke Matsuyama und seine 43 Gefolgsleute an einer gottverlassenen Ecke im Südpazifik auf einem Korallenriff. Dann die Insel. Das Warten, Bangen, Verlangen nach Nahrung. Der Hunger schliesslich nahm ihnen das Leben; aber Matsuyama ging nicht von dieser Welt, ohne ihr Schicksal in ein Kokosnuss-Holz zu ritzen und in einer Flasche auf Reise zu schicken. 1935 wurde die Flasche des Verschollenen gegen das Vergessen angeschwemmt; und zwar – und jetzt kommt die Hühnerhaut – in Japan an der Küste von Hiraturemura, an Matsuyamas Geburtsort.
«Der Akt an sich hat etwas Abenteuerliches, Verheissungsvolles.»
Grosse, weitherzige Welt-Geschichten wie diese zappeln im weltweiten Netz – aber kleine Versionen davon haben wir vielleicht auch schon geschrieben. Ich erinnere mich jedenfalls, zuletzt ein paar Zeilen bei der Tössegg (übrigens ein wunderbares Ausflugsziel im Zürcher Unterland) in den Rhein geworfen zu haben, vom hölzernen Steg aus. Diese Nachricht hat es sicher nie bis nach Italien oder Japan, sondern nur bis in den Rechen des nächsten Kraftwerks geschafft. Aber trotzdem: Der Akt an sich hat etwas Abenteuerliches, Verheissungsvolles. Und vielleicht, ja vielleicht, wär’s mal wieder an der Zeit, zur leeren Flasche zu greifen und sie zu füllen, auf Reise zu schicken.
Worte – mitsamt der Hoffnung in die Wellen entsandt.
Text: Andrea Keller | Fotografie: Kaweco
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