13. November 2019
Die Wirkichkeit aus den Angeln heben
Von dem, was Hotelmanager nicht können
Hugo kriegt eine Abfuhr, was er akzeptieren muss – aber nicht auf sich sitzen lässt. Sich quasi auf die Hinterbeine stellt und damit das Vorgehen in Frage.
Als Cartoon-Figur und Geschichtenerzähler verfüge ich, punkto Narrenfreiheit, quasi über einen Blankoscheck hoch zwei. Geniesse also, in anderen Worten gesagt, eine unbeschränkte Vollmacht und Handlungsfreiheit. Was mir, erstens, viel bedeutet und ich, zweitens, sehr schätze. Weil mir dadurch, drittens, die Möglichkeit gegeben wird, meine Sicht der Dinge darzulegen. Und zwar ungefragt und unzensiert. In der Regel mit dem Ziel, positive Emotionen zu provozieren.
Ausgerüstet mit solcherlei Privilegien, werden Figuren wie ich als Botschafter für Produkte, Dienstleistungen und Persönlichkeiten, nennen wir sie der Einfachheit halber nachfolgend Marken, eingesetzt. Da wir das gut können, oft besser als die Marke selbst. Und weil wir damit die Hauptdarsteller aus der Schusslinie nehmen. Die sollen sich, derweil wir für gute Stimmung sorgen und die Werbetrommel rühren, diskret im Hintergrund halten. Im Maximum aber eine dezente Nebenrolle einnehmen. Unter anderem deshalb, weil übertriebene Selbstdarstellung beim Publikum schlecht ankommt. Will sagen, weil Eigenlob stinkt und fremdes Lob nach Rosen duftet. Soweit die Theorie.
«Den Boden der Tatsachen verlassen, um neue Spielräume zu schaffen.»
Kommen wir nun zur Praxis. Ursprünglich sollte ich an dieser Stelle über ein charmantes Jugendstilhotel am Vierwaldstättersee berichten. Beziehungsweise über dessen jährliche Frühjahrsparty und eine coole Sache, die ich dort hätte unter die Leute bringen sollen. Und mit etwas Charme und Witz an die Publikumsherzen appellieren. Woraus aber nichts wurde, weil das zuständige Direktorium befand, dass ich nicht so recht zu ihren noblen Gästen, mit anderen Worten, in ihr Bild passe. Die Idee zwar schon, meine Figur jedoch nicht. Man hätte doch und sei schliesslich, bla bla bla … Was selbstverständlich legitim ist und man hinnehmen muss. Allerdings, so finde ich, ziemlich dilettantisch rüberkommt. Soviel zu den Tatsachen. Und meinem Standpunkt.
Mein zweiter Standpunkt ist ebenfalls ganz simpel. Jemand, der ein Hotel führt oder eine Garage, eine Strickstube oder was euch in diesem Moment auch immer durch den Kopf geistert, sollte sich über eines im Klaren sein: Geschichten stechen Fakten aus. Immer. Selbst in den Nachrichten. Was zwar, so finde ich, ganz und gar nicht sein dürfte, in unserer Zeit aber trotzdem exakt so funktioniert. Nur zum sagen und damit das Thema «Medienwirklichkeit» am Rande auch noch erwähnt wird. Wer nämlich glaubt, die Berichterstattung in den Medien sei objektiv, unabhängig, neutral und unzensiert, glaubt auch, er könne ein Problem lösen, indem er die Augen schliesst und sich ausmalt er würde dadurch unsichtbar.
Zurück zum Kern der Sache. Nackte Daten, Fakten und Zahlen sind, wenn sie nicht mit irgendetwas zusammenhängen, so nutzlos wie ein Kropf. Sie sind bestenfalls Stichworte, dienen allenfalls der Untermauerung, mehr nicht. Damit sie einen tieferen Sinn ergeben oder einen Wert darstellen, muss man sie Teil einer Sache werden lassen. Sie mit menschlichen Handlungen, Aktionen, Geschehnissen und Erlebnissen in Verbindung bringen. Was eindeutig zu meinen Kompetenzen gehört. Nämlich die Emotionalisierung von Fakten. Um sie dem Zuschauer und Zuhörer ins limbische Gehirn zu befördern, wo sie hoffentlich haften bleiben und im besten Falle keimen.
Nicht den Sinn unter die Leute bringen, sondern den Wert herausschälen
Um es auf den Punkt zu bringen: Wer denkt, oder vielmehr glaubt, er könne mit einem Hotel, selbst an allerbester Lage direkt am See, mit schicken Zimmern, einem Sternekoch, tollen Veranstaltungen und meinetwegen tausend anderen Annehmlichkeiten langfristig punkten, der irrt. Solcherlei gehört zur Daseinsberechtigung eines Vier-und-mehr-Sterne-Hotels. Darüber redet niemand. Worüber hingegen geredet werden sollte ist, was durch solcherlei Leistungen möglich wird. Sprich, was sich dabei entdecken, erfühlen und erleben lässt. In Hoteldirektoren-verständlichen-Worten: Ihr müsst nicht den Sinn unter die Leute bringen, sondern den Wert herausschälen. Was ihr jedoch im Leben nie hinkriegt, weil das nicht euer Fach ist.
Figuren wie ich hingegen werden dazu erschaffen, die Regeln der Wirklichkeit aus den Angeln zu heben. Den Boden der Tatsachen zu verlassen, um neue Spielräume zu schaffen. Emotionen zu transportieren und mit Erzählungen, Luftschlössern und Illusionen in Realitäten einzudringen ist unser tägliches Brot. Die Geschichten, die wir erzählen, glaubhaft zu machen, ohne zu behaupten, sie hätten sich so zugetragen, sondern indem wir nur so tun, als ob sie sich so zutragen haben könnten, ist eine Kunst. Die Kunst, aufzuzeigen, dass es nicht die Fakten sind, die überzeugen, sondern die Geschichten und ihre Erzähler.
Text: Hugo | Illustration: Samuel Glättli
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