Welt der Grimsel | Grimsel Hospiz | Magazin Zürich

27. November 2017
Traditionen und Gastfreundschaft

Die Grimselwelt hautnah erleben

Eine Welt, die archaischer nicht sein könnte. Wild romantisch, abwechslungsreich und, wenn das Wetter schlagartig die Laune ändert, furchteinflössend.

In dieser von der Natur regierten Welt gibt es Werte, die der Mensch geschaffen hat. Traditionen und Gastfreundschaft beispielsweise. Beides wurzelnd in der Jahrhunderte alten Geschichte der Grimsel. Quasi von der Natur abgeguckt, in Stein gehauen. Genauso wie die Wasserrinnen auf der Via Sbrinz.

Dieser aus alter Zeit stammende Säumerweg führt von Luzern entlang dem Vierwaldstättersee über den Brünig, ins Haslital nach Meiringen, weiter nach Innertkirchen, über Guttannen zur Handeck, hinauf zum Grimselpass, runter nach Obergesteln, über den Griesspass bis nach Domodossola. Wer diesen Weg geht, und sei es nur eine kurze Strecke, der wird verstehen, was mit schweisstreibend, beschwerlich, teilweise bedrohlich ausgedrückt werden will. Auf Kapriolen der Natur wie Schneefall im Sommer sind wir dabei noch nicht eingegangen. Auf überforderte Lasttiere, Wegelagerer und andere alltägliche Widrigkeiten ebenfalls nicht.

Wer mehr darüber erfahren will, dem sei das Buch «Jakob Leuthold» von Fritz Ringgenberg empfohlen. Ein Bergführerroman, der in kraftvoller Sprache bildhaft macht, wie das Leben damals war. In einer grossgehauenen Natur, wo der Mensch klein ist und um zu überleben über sich hinauswachsen muss. Wo die Landschaft sich stets ändert, Geschichten und Sagen hingegen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Damit nichts in Vergessenheit gerät. Damit man der Mühen, Gefahren und Entbehrungen gedenke. Und, wenn es mal nach Plan läuft, der Gunst des Schicksals.

In groben Stein gehauene Architektur
Vieles, was früher war, ist heute anders. Geblieben allerdings sind die Naturgewalten und demzufolge das Bedürfnis nach Wärme und Behaglichkeit. Nach Schutz und einem sicheren Dach über dem Kopf. Die Handeck und das Grimsel Hospiz bieten beides, denn sie wurden eigens dafür erschaffen. Während das Hospiz bereits 1142 als erstes Gast- und Säumerhaus der Schweiz erwähnt wird, gründet die Handeck auf Mauern, die vor immerhin 500 Jahren gesetzt wurden. Was über Jahrhunderte Zufluchtsort für Säumer, Pilger und Bergführer war, präsentiert sich in der Gegenwart als idyllisches Refugium. Geblieben, weil Wind und Wetter trotzend, ist die in groben Stein gehauene Architektur. Innen wurde viel Holz verbaut, die Räumlichkeiten von unten nach oben mit dem passenden Mobiliar eingerichtet. Man merkt es schnell, der Gast soll sich wohlfühlen. Er soll spüren, dass, wie damals auch, auf Gastfreundschaft und Traditionen Wert gelegt wird.

Ohne Frage ist es allerorts wichtig, dass sich der Gast wohlfühlt und die Leistungen stimmen. Hier oben jedoch, so dünkt mich, zählen diese Werte doppelt. Liegen mag das wohl daran, dass die Natur an Eindrücken und Möglichkeiten, sie hautnah zu erleben, nicht spart, darum den Geist unentwegt fordert, dem Körper Leistung abverlangt und mit Wucht das Herz füllt. Das macht hungrig und müde. Und, seien wir ehrlich, was gibt es Schöneres, als in heimeliger Atmosphäre dem Genuss zu frönen, sich anschliessend, wenn einen nichts mehr auf den Beinen hält, in ein kuscheliges Bett fallen zu lassen, um nullkommaplötzlich wegzutreten und bis in die späten Morgenstunden in Morpheus´ Armen zu liegen.

Damit sich des Gastes Aufenthalt möglichst wie beschrieben abspielt, wird in diesen Häusern mit Feingefühl auf dessen Wohlbefinden achtgegeben, überlässt man wenig dem Zufall. Offene Ohren, freundliche Worte und herzliche Gastfreundschaft sind Programm. Aufrecht, ohne Geschwätz und Theater. Fast, so scheint es, als hätten die einstigen Herren der Häuser ihre DNA von einer Generation an die nächste weitergegeben. Bescheiden aber fürsorglich, dem lebensgeprüften Charakter des Hochgebirges entsprechend und mit der Einstellung, «Man sollte den Gästen einen guten Trunk geben, damit sie fröhlich werden.

«Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.»

Sitzt man dann im Hospiz vor dem riesigen Kamin, lauscht dem Knistern der Flammen, dem Krachen von altem Buchenholz, liest in Fritz Ringgenbergs Buch, holt einen die Zeit zurück in längst vergessene Tage. Ins Jahr 1829, als Jakob Leuthold von hier aus seine Expeditionen in die Schnee- und Eisregion der Grimsel plante. Am 10. August desselben Jahres gelang ihm die Erstbesteigung des Finsteraarhorns. Ist es rundherum mäuschenstill, man selber ganz Ohr, kann man Jakob bei seinem Tagwerk zuhören. Man sieht ihn bildhaft vor sich, wie er die Wetterlage prüft, Routen plant, diese wieder verwirft, um neue festzulegen. Wie er Proviant ordert, Seile instand setzt und andere Ausrüstung. Man fühlt mit ihm, welche Zweifel er hegt, wie er Ängste durchlebt, und freut sich mit ihm, dass ihn sein unerschütterlicher Glaube an sich selber und das Credo: «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg» zum Erfolg führt. Alles hier geschehen. So lang schon ist das her, und doch so nah.

Text: Urs Blöchliger | Fotografie: Urs Blöchliger

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