10. Juni 2020
Werkstoff der Zukunft
Schaffner knüpft an alte Erfolge an
Die Ostschweizer Möbelmanufaktur macht von sich reden. Unter anderem mit unverwüstlichen Tischplatten aus Fiberglas. Und die sind gefragter denn je.
Nein, Fiberglas ist kein natürliches Produkt. Um mit dem anzufangen, was Fiberglas nicht ist. Es ist ein künstlich produziertes Material aus Polyester- oder Epoxidharz und dünnen Fäden aus geschmolzenem Glas. Fachterminologisch nennt sich das «glasfaserverstärkter Kunststoff» – abgekürzt GFK. Ein Material mit Eigenschaften, die es in sich haben: Es altert nicht, ist witterungsbeständig, feuersicher, chemieresistent, abriebfest und, im Vergleich zu seinem geringen Gewicht, enorm belastbar. Obendrein kann man Fiberglas nach Lust und Laune kolorieren und ihm, etwas Fantasie und technisches Wissen vorausgesetzt, jede nur erdenkliche Oberflächenstruktur verpassen. So die Ausgangslage.
Mit Lättli oder Spaghetti-Bespannung
Nun ein kurzer Blick zurück: Die Ur-Kompetenzen der Schaffner AG liegen im Bearbeiten von Stahlblech und Stahlrohr. Damit wurde das Unternehmen gross, bekannt und erfolgreich. Jeder Eidgenoss dürfte schon mal auf einem «Original-Schaffner» gesessen haben. Die verzinkten Stahlrohrgestelle mit Lättli oder Spaghetti-Bespannung standen in jeder Gartenbeiz. Und tun es mitunter heute noch. Auch die Zick-Zack-Wandleiterli-Bücherregale sind ein Andenken an diese Zeit. Erfolgstechnisch waren sie der Renner schlechthin. Sie hingen praktisch in jedem mittelständischen Haushalt an irgendeiner Wand. Oder gar an mehreren.
Erfolg hin, Nostalgie her. Fiberglas war, damals in den späten 80er Jahren, das Material der Stunde. Und Martin Schaffner, Jahrgang 1962, beabsichtigte, das «neumodische» Material mit den «bombigen» Vorzügen für die Herstellung von Tischplatten zu nutzen. «Was», so seine Überzeugung, «im Automobilrennsport, in der Luftfahrt und im Bootsbau funktioniert, wo die Anforderungen an die Werkstoffe immens sind, haut im Kleinen erst recht hin». Ergo tat der Schaffer Schaffner, was ein Mann tut, wenn er einen Einfall hat und findet, der sei gut. Er setzt ihn in die Tat um.
«An Details gefeilt und bis zum Geht-Nicht-Mehr optimiert.»
Was sich so federleicht hinschreiben lässt, war in Tat und Wahrheit ein Knochenjob – ein zeitraubender dazu. Und ein Spagat. Schliesslich wollte Schaffner sein Stammgeschäft nicht konkurrenzieren, sondern ausbauen. Folglich war Vorsicht geboten. Sprich Recherchieren und Abwägen angesagt. Grübeln und Tüfteln ebenfalls. Sowie geistiges Eintauchen in unzählige Problemstellungen. In anderen Worten: Martin prüfte, mischte, formte, probierte aus, schlug fehl, korrigierte, testete erneut, feilte an Details und optimierte bis zum Geht-Nicht-Mehr. Mit dem Resultat, dass das, was heutzutage ist, ein ganz besonderes Kaliber hat. Und, was Dauerhaftigkeit und Nachfrage angeht, an die Erfolge früherer Designklassiker anknüpft.
Oscar Wilde hat einmal gesagt: «Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, dann ist es noch nicht das Ende.» In diesem Fall stimmt irgendwie beides: Schliesslich ging die Geschichte mit dem Abenteuer Fiberglas gut aus. Und dennoch ist unsere Erzählung noch nicht zu Ende. Zu diesem kommen wir erst jetzt. Quasi auf Umwegen. Wie es sich für eine Geschichte eben gehört.
Das zuletzt Gesagte war, um den Bogen rund zu machen, ein triftiger Grund, warum wir uns bei den Fotoarbeiten für die Giesserei in Oerlikon entschieden haben. Obschon sich hier nicht seit jeher alles am, auf und unter dem Tisch abgespielt hat. Es gab Zeiten, da rauchte, fauchte und qualmte hier genauso wie in Martin Schaffners Werkstätten in Müllheim. Aber das ist eine andere Geschichte, und diese hier wollen wir für heute beschliessen.
Text: Urs Blöchliger | Fotografie: Karine & Oliver
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