Urs Blöchliger | Publizist | Magazin Zürich

9. Mai 2019
Bewusst den Bogen überspannen

Das Ding um die «Warum Nicht»-Frage

Die Frage nach dem Warum ist zuweilen sehr gescheit. Im Wettbewerb hingegen müsste sie «Warum eigentlich nicht?» lauten. Das wäre noch gescheiter.

Sie wollen Licht ins Dunkel bringen? Einem Problem auf den Grund gehen, eine Sache aufklären oder eine Situation ausloten? Dann, so ist zu vermuten, stellen Sie in der Regel Warum-Fragen. Weil Warum, noch besser, mehrmaliges Warum hintereinander, bekanntlich dem Verstehen und Begreifen von Zusammenhängen dient. Bei der Ursachenforschung oder der systematischen Untersuchung einer Situation kommt man nicht ohne Warum-Fragen aus.

Das Tolle ist: Hält man die Warum-Frage-Kette lange genug durch, kommt jedermann irgendwann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Ziel. In anderen Worten: Man hat die Sache untersucht. Das Rätsel entschlüsselt, die Möglichkeiten geprüft und die Motive durchschaut. Und hat dabei tausend Gründe gefunden, warum etwas nicht funktioniert. Was die Grossartigkeit der klügsten Frage der Welt kurzerhand wieder relativiert und ihre Schattenseite zum Ausdruck bringt: dass sie den Flow abmurkst, die Dynamik tötet und jene bestätigt, die an dem, was ist, festhalten wollen, meistens aus Bequemlichkeit.

So haucht man Ideen Leben ein
Sorry fürs Zurechtrücken Ihrer Denkweise, werte Leser, aber Warum-Fragen sind für die schöpferische Stimulation ungefähr gleich störend wie Sägemehl im Schritt. Sie regen die Fantasie nicht an, wecken keine Begierden und stillen schon gar keine Sehnsüchte. Wer die Welt aus den Angeln heben will, oder zumindest Dinge in Gang bringen, muss sich die Frage «Warum eigentlich nicht?» stellen. Um sie muss der Verstand kreisen, zu ihr soll die Kraft der Gedanken gelenkt werden. Damit haucht man Ideen Leben ein, bringt etwas nach vorne und wächst über sich hinaus.

«Ungefähr gleich störend wie Sägemehl im Schritt. »

Ob man dabei auch auf die Schnauze fallen kann? Selbstverständlich kann man – was aber keinen Tango spielt, solange man wieder aufsteht. Niederlagen tun zwar weh, gehören jedoch zum Erfolg wie die Luft zum Atmen. Wer das nicht kapiert hat, bleibt beim Status Quo und wird von anderen überholt. Das tut dann nicht nur weh, das wird zuweilen richtig unschön und hässlich. Oder gar blutig.

Dank Lerneffekten, grösser, schneller und stärker werden
Sie glauben mir nicht? Dann rufe ich Ihnen Kodak, Commodore, Beate Uhse, das Warenhaus Quelle, die Musikindustrie und das Verlagswesen in Erinnerung. Die glaubten ebenfalls nicht. Haben stattdessen an traditionellem Denken festgehalten und den Mut nicht gefunden, Altes zugunsten von Neuem und Unbekanntem aufzugeben. Dann kamen Firmen wie Apple, Netflix, Amazon und Mytaxi, die auf Draht waren und zeigten, dass man kann, wenn man will. Sie kümmerten sich, um es so anständig wie möglich zu formulieren, einen Dreck um Mauern, Grenzen und Regeln, sondern haben diese eingerissen, überschritten und gebrochen. Den Bogen zuweilen sogar überspannt, wofür sie eingesteckt haben – was sie aber, dank Lerneffekten, nur noch grösser, schneller und stärker gemacht hat.

All das, in ebendiesen Worten, habe ich kürzlich einem Auftraggeber gesagt. In der leisen Hoffnung, dass er hinhört und versteht. Hingehört hat er, verstanden vermutlich auch. Dass er aber umsetzt, worüber er Kenntnis hat, daran habe ich meine Zweifel. Weshalb die Hypothese, dass sich sein Unternehmen früher oder später in die Liste von Kodak und Konsorten einreihen wird, wohl zulässig ist.

Text: Urs Blöchliger | Fotografie: Karine & Oliver

Fragen zu stellen zeugt von Interesse und Wissbegierde. Fragen mit Gegenfragen zu beantworten hingegen gilt als unhöflich. Kommt hinzu, dass das Wort «eigentlich» ein Unwort und damit zu unterlassen ist. Weil «eigentlich», wie «aber» auch, Aussagen postwendend relativiert. Wer hingegen zum richtigen Zeitpunkt auf die Frage «Warum?» mit «Warum eigentlich nicht?» reagiert, darf das, finde ich. Weil es dem Zweck dient, zugleich eine Haltung ausdrückt und im vorliegenden Fall keine einschränkende Formulierung ist.

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