Kaweco | Feuilleton | Magazin Zürich

24. November 2017
Wunschzettel ans Christkind

Liebes Christkind, nieder mit den Mauern!

Autorin Andrea Keller tut ewas dafür, damit sich ihre Wünsche erfüllen. Sie schreibt dem Christkind einen Brief.

Gerade zur Weihnachtszeit wäre es schön, wenn wir nicht nach Steinen und Mörtel greifen und uns verbarrikadieren, sondern die Tür einen Spalt weit offenlassen – und denen die Hand reichen, die Hilfe nötig haben. Ja, das wünsche ich mir. Und Sie? Was kommt auf Ihren Wunschzettel?

Diese Geschichte beginnt an einem Novembertag im Jahr 1988. Das Radio spielt «Hand in Hand» von Koreana, in meinen Haaren klebt Guätzli-Teig und Franz Carl Weber ist mein bester Freund. Sein Katalog mit all dem Spielzeug liegt auf dem Stubentisch, aufgeschlagen, und ich will-will-will dieses Himmelbett für mein Barbie. Das mit den fluoreszierenden Sternen.

Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen: Ich spiele auch mit Autöli. Ich spiele mit Legos. Ich spiele mit Dreck und ich spiele im Wald. Aber jetzt wünsche ich mir diesen leuchtenden Plastik-Traum, also kritzle ich mit Kugelschreiber auf einen Zettel: Barbi Himelbett. Und noch zwei, drei andere Dinge, die mir unglaublich begehrenswert scheinen. Dann falte ich den Zettel zusammen, stecke ihn in ein Couvert und beschwere das Couvert auf dem Balkon mit einem Stein. Post fürs Christkind. Meine Eltern sagen: «Über Nacht holt es die Wünsche ab. Und vielleicht erfüllt sich ja ein Traum unterm Weihnachtsbaum.»

Was will ich heute? Was brauchen wir als Gesellschaft?
Ein Novembertag im Jahr 2017. Auf YouTube läuft «Hand in Hand» von Koreana, weil ich es mir beim Schreiben des ersten Absatzes nicht verkneifen konnte, diesen Song zu suchen. Jessäs. Ich höre «We can make this world a better place in which to live», und es wird von Harmonie und von Herzen gesungen, die im Gleichklang klopfen, von «breaking down the walls».

Zugegeben, die Synthesizer-Discomusik ist nicht nur Wohlklang in meinen Ohren – anders die Lyrics! Die habe ich damals noch gar nicht verstanden. Hand in Hand, okay. Das schon. Aber das mit den Mauern, die wir gemeinsam niederreissen, begreife ich erst jetzt … Und ich finde es gut. Ich finde es tatsächlich erstrebenswert, dass wir das tun. Zusammen. Das wünsche ich mir zu Weihnachten; kein Barbie-Himmelbett*, Gott bewahre, auch sonst nichts Materielles. Offenheit.

Ich suche mir ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber.

Ich schreibe:

Weihnachtswunschzettel

Und beginne meine Liste:

  • Mehr Koreana – nicht unbedingt im Ohr, aber in den Köpfen
  • Hände in Händen
  • Niedergerissene Mauern
  • Überwundene Grenzen
  • Geweitetes Denken

Dann falte ich den prosaisch gehäuselten Zettel und stecke ihn in ein Couvert. Da ich keinen Balkon mehr habe, weiss ich für einen kurzen Moment nicht, wohin mit meinen frommen Wünschen. Dann entscheide ich mich, die Botschaft auf einer Parkbank in der Stadt zu hinterlassen. Ganz einfach. Das Christkind wird auch mal Pause machen.

Ich lade Sie dazu ein, es mir gleichzutun: Überlegen Sie sich, was Sie sich wünschen – nicht an Dingen, sondern an Haltungen, Gesten, Gedanken in Ihrem Umfeld und der Welt. Notieren Sie alles auf einem Blatt Papier und platzieren Sie die Wünsche irgendwo, meinetwegen auch auf dem nächstbesten Barhocker. Das Christkind wird auch mal Durst haben. Und vielleicht, wer weiss…

*Apropos: Das Barbie-Himmelbett habe ich damals bekommen. Und ausgepackt. Knisterpapier! Kinderjauchzen! Glücksgefühl! Aber dann passierte Folgendes: Mein Bruder hat sich kurzerhand draufgesetzt. Ja, einfach draufgesetzt, noch am selben Abend. Er hat gegrinst, was von «Ich gehe jetzt schlafen» gesagt, theatralisch gegähnt … und kaputt war’s. Der Himmel vom Bett getrennt.

Text: Andrea Keller | Fotografie: Kaweco

Dieser Text wurde zwar am Computer geschrieben, hat aber Hand und Hintergrund, basiert auf der Freude am handschriftlichen Schreiben. Er wurde im Auftrag von Kaweco verfasst, dem Hersteller von Schreibgeräten (seit 1883).

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2 Kommentare
  1. Miss Paprika
    Miss Paprika sagte:

    Ich wünsche mir m-eating-tables auf der ganzen Welt. Warum? Weil ich finde, dass es nichts Schöneres gibt, als eine fröhliche Tischrunde. Und, ganz eindeutig: In Gesellschaft speisen macht mehr Spass 🙂

    Antworten
    • Urs Blöchliger
      Urs Blöchliger sagte:

      Liebe Miss Paprika. Danke für Deinen Kommentar. Der ist zwar ziemlich grenzwertig bezüglich Eigenwerbung – aber, ich drücke hier mal ein Auge zu. Im Grundsatz nämlich bin ich, was der Gedanke vom geselligen Beisammensein betrifft, nah bei dir. In diesem Sinne drücke ich dir ganz fest die Daumen und freue mich mit dir; über voll besetzte Tische mit vielen froh gestimmten Menschen. Ganz herzlich, der Urs

      Antworten

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