Alberto Venzago | Reportage | Magazin Zürich

26. November 2016
Unterwegs auf der Züri-Linie

Mit Alberto Venzago im Tram Nr. 4

Der Fotojournalist und Kunstschaffende ist auf der Züri-Linie unterwegs; dabei macht er Erfahrungen und sammelt Eindrücke.

Für Kinder ist Tramfahren in Zürich der beste Anschauungsunterricht auf das kommende Leben. «Genauso geil will ich auch mal aussehen. Aber jetzt habe ich keine Zeit, denn ich muss die Bremsglocke betätigen, so laut und so oft wie ich kann, denn ich bin megacool.»

Für die Teenager vom KV an der Limmatstrasse ist das Tram auch mal Esszimmer. Zwischen Schule und Ausgehmeile noch schnell eine Pizza vertilgen – eine Banalität. Eine Notwendigkeit. Je nach Jahreszeit sorgen hier im Tram Nr. 4 Fastfood-Varianten für unterschiedlichste Gerüche. Heute dominieren Pizza und Döner. Und die Lust.

Treffpunkt Limmatplatz
Die Linie 4 ist lebendig. Sie ist Schauplatz der Jungen. Für Bühnen- und Laufstegtests. Besonders jetzt in Frühsommer gilt, zuerst mal auszuprobieren, ob der Ausschnitt zu gewagt ist, der Khaki-Rock zu kurz – und wie die Jungs drauf reagieren. Wie die Freundinnen reagieren, weiss sie vom Spiegel im Flur zuhause. Jetzt ist Ernstfall. Erste Sommersonnenstrahlen. Es ist heiss. Und stickig. Treffpunkt Limmatplatz. Provokation ist jetzt angesagt. Die Freundinnen sind alle ausgelassen und in Hochstimmung. Eben Freundinnen. Die Jungs machen auf cool. I-Pod als Ablenkung. Cooler Sound. Scheue Blicke zwischen Kapuzen und Sonnenbrillen.

Zwei Sitzreihen weiter hinten. Die erste Liebesromanze in diesem Sommer. Versteckt umklammert er sein Glück. Unter dem Pullover, Natur pur im Grossstadtdschungel. Sie mag jetzt nicht. Sie will mit ihren Freundinnen lachen. Reisst sich los von ihm. So nah und doch so fern. Heute Abend wird er wieder – wie so oft – allein von der Endstation Werdhölzli nach Hause gehen und in sein Tagebuch schreiben: «Mein Gott, wo bin ich nur, nichts als Banalität ringsum, Langeweile, ich muss hier weg, sonst werde ich noch verrückt …!»

Text: Alberto Venzago | Fotografie: Alberto Venzago

Alberto Venzago steht sowohl für Fotografie/Fotojournalismus als auch für Film, Bücher und Ausstellungen. Diverse internationale Auszeichnungen. Letzte Arbeiten: Buch und Film über Voodoo, «Mounted by the Gods»; dokumentarische Filmarbeit mit Wim Wenders im Kongo, «Die Unsichtbaren» (Berlinale 2007); April 2007 am Filmfestival Nyon Premiere des Dokumentarfilms «Mein Bruder – der Dirigent»; Januar 2008 in Berlin Weltpremiere der Roadmovies über die Berliner Philharmoniker.

Alberto Venzago | Reportage | Magazin Zürich
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