Sanfte Bitterkeit | Feuilleton | Magazin Zürich

16. Januar 2017
Gewächs mit magischen Kräften

Ohne Wacholder ist es kein Gin

Das kostbare Gewürz spielt seit jeher eine Rolle. In der Mythologie, in alten Sagen und, nicht zuletzt, in richtig gutem Gin. Andra Keller weiss mehr darüber.

Wissen und Weisheit, von Generation zu Generation übertragen – das hat etwas Magisches. Zumal dann, wenn sich das Wissen um Pflanzen dreht und um Rezepte; um das Wundergehölz Wacholder zum Beispiel und um die richtige Kräutermixtur für eine erstklassige Spirituose.

Meine Grossmutter ist seit 97 Jahren auf der Welt und hat sich, wie sie sagt, schon als junge Frau geschworen: «Wenn ich mal alt bin, darf ich müde, aber nicht verbittert sein.» Diesen Schwur hält sie und lebt ihren Schlussspurt in einer Art gereiften, geduldigen Zufriedenheit. Eine Bitterkeit, die sie hingegen gut kennt und auch schätzt, findet sich in der Natur. Bis vor wenigen Jahren regierte sie ein Gartenreich mit Blumen, mit Gemüse, mit Kräutern; sie hat Kenntnis darüber, dass die Bitterstoffe mancher Pflanzen Wunder wirken und wohltun, der Leber, dem Magen, dem Herz.

Nehmen wir nun also das Wacholdergehölz, dieses ambitiöse Pflanzenwerk, das dafür bekannt ist, eine ganze Hausapotheke in sich zu vereinen: Die Büsche können hoch werden, zehn Meter mitunter, und ein biblisches Alter erreichen. Sie wurzeln und wachsen bis zu 200 Jahre lang. Wacholder, erzählt mir meine Grossmutter, mit halbgeschlossenen Augen, mit Zwischenwelten-Blick, galt lange als Gewächs mit magischen Kräften. Zauberei! Früher habe man geglaubt, mit einem Gebräu aus Wacholderbeeren lasse sich sogar in die Zukunft schauen.

«Sanfte Bitterkeit.»

Ein Abstecher ins Internet bestätigt: Rund um die Welt begleitet der Wacholder religiöse Rituale und Zeremonien. Die Recherche führt mich bis ins zentralasiatische Ostturkestan, wo Wacholder in der spirituellen Praxis eingesetzt wird, um gefährliche Geister in die Wüste zu schicken und sich den Schutz der Engel zu sichern. In Tibet, lese ich weiter, bezeichnet man Wacholder als «Baum der Götter». Die Zweige und Blätter werden vielerorts getrocknet und bei der Räucherung verwendet, einzelne Bestandteile des Gewächses aufgrund ihrer heilsamen Wirkung für die Medizinherstellung benutzt.

Wacholder also. Eine Pflanze, die nicht nur in unserem Garten wachsen sollte und im Arzneischrank vertreten sein, sondern auch in jeder vernünftig ausgestatteten Bar; zumal er bei klassischen Gins im Mittelpunkt steht. Das entscheidende Kriterium für den Geschmack eines Gins liegt bekanntlich in der Auswahl der Gewürze und Kräuter, und das Wacholderaroma überwiegt, liegt schon beim ersten Schluck auf der Zunge, kitzelt am Gaumen: dieses angenehm Herbe mit süsser Note und zugleich Harziges, eine sanfte Bitterkeit.

Ein Prosit auf die Ahnen
Wie bei so vielem im Leben gilt auch bei Gin: Die richtige Mixtur macht die Magie. Und das Rezept des neuen «Swiss Highland Dry Gin» aus dem Hause Studer im Entlebuch ist ein uraltes. Robert Studer, einer der Gründerbrüder der Distillerie, hat es 1888 aus England mitgebracht. Wodurch wohl auch mit Flüssigem bewiesen wäre: Von unseren Ahnen können wir viel lernen. Zum Beispiel, wo Bitterstoffe hingehören: in manch hochwertige Spirituose, aber nicht in unser Denken und Reden, eben nicht in den eigenen Spirit, den Geist.

Text: Andrea Keller | Bildmaterial: Agentur

Andrea Keller ist Journalistin, Kulturpublizistin und Kommunikationsverantwortliche beim Museum Schaffen in Winterthur. Daneben realisiert sie Kunstprojekte, gibt Schreibkurse und schreibt auch selber (wenngleich viel zu selten), mitunter über das Schreiben.

Andrea Keller | Autorin | Magazin Zürich
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